Jenseits des Bösen
lassen wollte.
»Du bleibst bei mir!« sagte er und packte Jo-Beths Arm,
»bei uns!«
Sie wollte sich losreißen, aber sein Griff war zu fest. Mama griff ein und unterbrach den Kontakt mit einem abwärts gerichteten Faustschlag. Bevor Tommy-Ray sie wieder ergreifen konnte, spurtete Jo-Beth in Richtung Haus. Der Laubsturm folgte ihr über den Rasen, ebenso Mama, deren Hand sie nahm, während sie zur Tür liefen.
»Sperr ab! Sperr ab!« sagte Mama, als sie drinnen waren.
Sie gehorchte. Kaum hatte sie den Schlüssel umgedreht, befahl Mama, ihr zu folgen.
»Wohin?« sagte Jo-Beth.
»In mein Zimmer. Ich weiß, wie man ihn aufhalten kann.
Beeil dich!«
Das Zimmer roch nach Mamas Parfüm und muffigem
220
Leinen, aber heute spendete das Vertraute Trost. Ob das Zimmer auch Sicherheit bot, blieb dahingestellt. Jo-Beth konnte hören, wie unten die Gartentür eingetreten wurde, danach ein Lärm, als würde der Inhalt des Kühlschranks durch die Küche geschleudert. Danach Stille.
»Suchst du den Schlüssel?« sagte Jo-Beth, die sah, wie Mama unter das Kissen griff. »Ich glaube, der ist draußen.«
»Dann hol ihn!« sagte Mama. »Schnell!«
Auf der anderen Seite der Tür quietschte es, worauf sich Jo-Beth überlegte, ob sie die Tür aufmachen sollte, aber wenn die Tür nicht abgeschlossen war, hatten sie überhaupt keinen Schutz. Mama sprach davon, wie man den Jaff aufhalten konnte, aber sie suchte nicht nach dem Schlüssel, sondern nach dem Gebetbuch, und Gebete würden gar nichts aufhalten.
Ständig starben Menschen mit Gebeten auf den Lippen. Sie hatte keine andere Wahl, sie mußte die Tür aufreißen.
Sie sah zur Treppe. Dort stand der Jaff, ein bärtiger Fötus, dessen große Augen sie betrachteten. Der winzige Mund grinste. Sie griff nach dem Schlüssel, während er näherkam.
» Wir sind hier«, sagte er.
Der Schlüssel kam nicht aus dem Schloß. Sie zerrte daran, und plötzlich kam er frei und fiel ihr aus den Fingern. Der Jaff war drei Stufen vom oberen Ende der Treppe entfernt. Er sputete sich nicht. Sie ließ sich auf die Fersen nieder, um den Schlüssel aufzuheben und bemerkte zum erstenmal, seit sie das Haus betreten hatte, daß das Trommeln, das sie auf seine Anwesenheit aufmerksam gemacht hatte, wieder angefangen hatte. Der Lärm verwirrte ihre Gedanken. Warum bückte sie sich? Wonach suchte sie? Der Anblick des Schlüssels erinnerte sie daran. Sie ergriff ihn - der Jaff war auf der obersten Stufe -, stand auf, wich zurück, schlug die Tür zu und sperrte ab.
»Er ist da!« sagte sie zu Mama, die zu ihr sah.
»Natürlich«, sagte Mama. Sie hatte gefunden, wonach sie gesucht hatte. Es war kein Gebetbuch, sondern ein Messer, ein 221
acht Zoll langes Küchenmesser, das vor einiger Zeit
verschwunden war.
»Mama?«
»Ich wußte, daß er kommen würde. Ich bin bereit.«
»Damit kannst du ihn nicht bekämpfen«, sagte sie. »Er ist gar kein Mensch, nicht?«
Mama sah zur Tür.
»Sag es mir, Mama.«
»Ich weiß nicht, was er ist«, sagte sie. »Ich habe darüber nachgedacht... die ganzen Jahre über. Vielleicht der Teufel.
Vielleicht auch nicht.« Sie sah Jo-Beth an. »Ich habe mich so lange gefürchtet«, sagte sie. »Und jetzt ist er hier, und alles sieht so einfach aus.«
»Dann erkläre es mir«, sagte Jo-Beth. »Ich verstehe es nämlich nicht. Wer ist er? Was hat er mit Tommy-Ray
gemacht?«
»Er hat die Wahrheit gesagt«, sagte Mama. »In gewisser Weise. Er ist euer Vater. Jedenfalls einer davon.«
»Wie viele brauche ich denn?«
»Er hat mich zur Hure gemacht. Er hat mich mit Begierden, die ich nicht wollte, fast in den Wahnsinn getrieben. Der Mann, der mit mir geschlafen hat, ist dein Vater; aber das...« Sie deutete mit dem Messer zur Tür, gegen die von der anderen Seite geklopft wurde, »... hat dich wirklich gemacht.«
» Ich höre dich«, sagte der Jaff. »Laut und deutlich.«
»Geh weg«, sagte Mama und ging zur Tür. Jo-Beth wollte sie zurückbeordern, aber sie achtete nicht auf den Befehl. Sie packte Jo-Beth am Arm, zog sie dicht an sich und hielt ihr das Messer an die Kehle.
»Ich bringe sie um«, sagte sie zu dem Ding vor der Tür. »So wahr es einen Gott im Himmel gibt, es ist mein Ernst. Wenn du versuchst, hier hereinzukommen, ist deine Tochter tot.« Sie hielt Jo-Beth so fest, wie Tommy-Ray es getan hatte. Vor wenigen Minuten hatte er sie eine Wahnsinnige genannt. Ihre 222
jetzige Darbietung war entweder ein hervorragend gespielter Bluff, oder er hatte recht gehabt.
Weitere Kostenlose Bücher