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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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genossen die Aussicht. Am Himmel waren keine Sterne zu sehen; und unten in den Häusern brannte kaum ein Licht. Wolken hüllten den Himmel ein, Schlaf die Stadt. Vater und Sohn standen ohne Zeugen da und unterhielten sich.
    »Wer ist dein Feind?« sagte Tommy-Ray. »Sag es mir, und ich reiße ihm für dich die Kehle heraus.«
    »Ich bezweifle, daß er das zulassen würde.«
    »Sei nicht sarkastisch«, sagte Tommy-Ray. »Ich bin kein Dummkopf, weißt du. Ich weiß, wenn du mich wie ein Kind behandelst. Ich bin kein Kind.«
    »Das mußt du mir beweisen.«
    »Werde ich. Ich habe vor nichts Angst.«
    »Das werden wir sehen.«
    »Willst du mir angst machen?«
    »Nein. Ich will dich nur vorbereiten.«
    »Worauf? Auf deinen Feind? Sag mir einfach nur, wie er ist.«
    »Sein Name ist Fletcher. Er und ich waren Partner, noch vor deiner Geburt. Aber er hat mich betrogen. Besser gesagt, er hat es versucht.«
    »Was war euer Geschäft?«
    »Ah!« Der Jaff lachte, ein Laut, den Tommy-Ray
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    mittlerweile schon häufig gehört hatte und der ihm um so besser gefiel, je öfter er ihn hörte. Der Mann hatte Humor, auch wenn Tommy-Ray - so wie jetzt - die Pointe nicht verstand.
    »Unser Geschäft?« sagte der Jaff. »Es ging im Grunde genommen darum, Macht zu erlangen. Genauer, eine ganz bestimmte Macht. Sie heißt die ›Kunst‹, und mit ihr werde ich in die Träume Amerikas vorstoßen können.«
    »Hältst du mich zum Narren?«
    »Nicht alle Träume. Nur die wichtigen. Weißt du, Tommy-Ray, ich bin Forscher.«
    »Ja?«
    »Ja. Aber was gibt es draußen in der Welt noch zu
    erforschen? Nicht viel. Ein paar Wüstenlöcher; ein
    Regenwald...«
    »Den Weltraum«, schlug Tommy-Ray vor und sah nach
    oben.
    »Eine Wüste, und dazwischen jede Menge Nichts«, sagte der Jaff. »Nein, das wahre Geheimnis - das einzige Geheimnis - ist in unseren Köpfen. Und ich werde es bekommen.«
    »Du meinst nicht wie ein Seelenklempner, oder? Du meinst, irgendwie selbst dort zu sein.«
    »Ganz recht.«
    »Und die ›Kunst‹ ist der Weg dorthin?«
    »Wieder richtig.«
    »Aber du hast gesagt, es sind nur Träume. Wir träumen alle.
    Man kann jederzeit dorthin gelangen, so oft man will, man muß nur einschlafen.«
    »Die meisten Träume sind nur Jonglierstücke. Leute schnappen ihre Erinnerungen auf und versuchen, sie in eine Art Ordnung zu bringen. Aber es gibt noch einen anderen Traum, Tommy-Ray. Es ist der Traum davon, was es bedeutet, geboren zu werden, sich zu verlieben und zu sterben. Ein Traum, der erklärt, wofür das Sein da ist. Ich weiß, das ist verwirrend...«
    »Sprich weiter. Ich würde es trotzdem gerne hören.«
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    »Es gibt ein Meer des Geistes. Es heißt Essenz«, sagte der Jaff. »Und in diesem Meer liegt eine Insel, die mindestens zweimal in unserem Leben in unseren Träumen auftaucht: am Anfang und am Ende. Sie wurde zuerst von den Griechen entdeckt. Plato schrieb in verschlüsselter Form darüber. Er nannte sie Atlantis...« Er verstummte, weil der Inhalt seiner Geschichte ihn vom Erzählen ablenkte.
    »Du sehnst dich sehr nach diesem Ort, nicht wahr?« sagte Tommy-Ray.
    »Sehr«, sagte der Jaff. »Ich will in diesem Meer schwimmen, wenn ich Lust dazu habe, und ich möchte an das Ufer, wo die großen Geschichten erzählt werden.«
    »Hübsch.«
    »Hm?«
    »Klingt ganz hübsch.«
    Der Jaff lachte. »Du bist erfrischend unbeschwert, mein Sohn. Ich kann dir sagen, wir werden gut miteinander
    zurechtkommen. Du kannst mein Agent vor Ort sein, richtig?«
    »Aber sicher«, sagte Tommy-Ray grinsend. »Was ist das?«
    »Ich kann nicht jedem mein Gesicht zeigen«, sagte der Jaff.
    »Und ich mag das Tageslicht nicht besonders. Es ist so wenig...
    geheimnisvoll. Aber du kannst für mich ausgehen und Aufträge erledigen.«
    »Demnach bleibst du. Ich dachte, wir würden irgendwo zusammen hingehen.«
    »Später. Zuerst muß mein Feind sterben. Er ist schwach. Er wird erst versuchen, den Grove zu verlassen, wenn er einen gewissen Schutz hat. Ich denke, er wird sich um sein eigenes Kind kümmern.«
    »Katz?«
    »Ganz recht.«
    »Also sollte ich Katz töten?«
    »Das könnte nützlich sein, wenn sich die Gelegenheit
    ergibt.«
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    »Dafür werde ich sorgen.«
    »Aber du solltest ihm dankbar sein.«
    »Warum?«
    »Wäre er nicht, wäre ich immer noch unter der Erde. Würde immer noch darauf warten, daß du und Jo-Beth die Teile zusammenfügt und nach mir sucht. Was sie und Katz getan haben...«
    »Was haben sie denn getan? Haben sie

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