Jenseits des Bösen
Schreckliches... im Schlaf...«
»Einen Augenblick, Mama. Bleib im Bett.«
»Schrecklich...«
»Ich bin gleich wieder da. Bleib nur, wo du bist.«
Er war leibhaftig hier: der Vater, von dem Tommy-Ray in tausend Formen geträumt hatte, seit ihm klar geworden war, daß andere Jungs zwei Elternteile hatten, einen, der dasselbe Geschlecht hatte wie sie, Männersachen wußte und sie an seine Söhne weitergab. Manchmal hatte er sich vorgestellt, daß er der uneheliche Sohn eines Filmstars war und daß eines Tages eine Limousine vorfahren und ein berühmtes Lächeln
aussteigen und genau das sagen würde, was der Jaff eben gesagt hatte. Aber dieser Mann war besser als jeder Filmstar.
Er sah nicht besonders aus, aber er teilte mit den Gesichtern, die die Welt vergoltene, einen seltsamen Ausdruck, als hätte er es gar nicht nötig, seine Macht zu demonstrieren. Tommy-Ray wußte noch nicht, woher diese Macht kam, aber ihre Zeichen waren unübersehbar. »Ich bin dein Vater«, sagte der Jaff wieder. »Glaubst du mir?«
Selbstverständlich glaubte er es. Er wäre ein Narr, so einen Vater zu verleugnen.
»Ja«, sagte er. »Ich glaube dir.«
»Und du wirst mir wie ein liebender Sohn gehorchen?«
»Ja. Das werde ich.«
»Gut«, sagte der Jaff. »Dann bring mir jetzt bitte meine Tochter. Ich habe sie auch gerufen, aber sie widersetzt sich mir. Du weißt, warum ...«
»Nein.«
»Denk nach.«
Tommy-Ray dachte nach, aber ihm fiel keine unmittelbare 215
Antwort ein.
»Mein Feind«, sagte der Jaff, »hat sie berührt.«
Katz, dachte Tommy-Ray. Er meint diesen Scheißkerl Katz.
»Ich habe dich gemacht und Jo-Beth, damit ihr meine Agenten seid. Mein Feind hat dasselbe gemacht. Er hat ein Kind gezeugt.«
»Katz ist nicht dein Feind?« sagte Tommy-Ray und bemühte sich, das alles zu durchschauen. »Er ist der Sohn deines Feindes?«
»Und er hat deine Schwester berührt. Das hält sie von mir fern, diese Befleckung.«
»Nicht mehr lange.«
Kaum hatte er das gesagt, drehte sich Tommy-Ray um, lief zum Haus und rief mit beschwingter Stimme Jo-Beths Namen.
Sie hörte sein Rufen im Haus und war beruhigt. Es hörte sich nicht an, als würde er leiden. Als sie in die Küche kam, stand er unter der Tür zum Garten, hielt sich mit beiden Händen am Rahmen fest und beugte sich grinsend herein. Er war
schweißnaß und fast nackt, daher sah er aus, als wäre er gerade eben vom Strand heraufgelaufen.
»Etwas Wunderbares«, grinste er.
»Was?«
»Draußen. Komm mit mir.«
Jede Ader seines Körpers schien sich stolzgeschwellt auf der Brust abzuzeichnen. Seine Augen hatten ein Leuchten, dem sie nicht traute. Und auch sein Lächeln machte ihr Mißtrauen noch stärker.
»Ich komme nicht mit, Tommy...«, sagte sie.
»Warum wehrst du dich dagegen?« fragte er und legte den Kopf schief. »Daß er dich berührt hat, bedeutet nicht, daß du ihm gehörst.«
»Wovon redest du?«
»Katz. Ich weiß, was er getan hat. Schäme dich nicht. Dir ist verziehen worden. Aber du mußt mitkommen und dich persön-216
lich entschuldigen.«
»Verziehen?« Sie sprach mit lauter Stimme, was die
Schmerzen in ihrem Kopf zu neuen Höchstleistungen
anspornte. »Du hast kein Recht, mir zu verzeihen, du
Arschloch! Ausgerechnet du...«
»Nicht ich«, sagte Tommy mit unerschütterlichem Lächeln.
»Dein Vater.«
»Was?«
»Der draußen wartet...«
Sie schüttelte den Kopf. Die Schmerzen wurden schlimmer.
»Komm einfach mit mir. Er ist im Hof.« Er ließ den Türrahmen los und kam durch die Küche auf sie zu. »Ich weiß, es tut weh«, sagte er. »Aber der Jaff wird es lindern.«
»Bleib mir vom Leibe!«
»Ich bin es, Jo-Beth. Tommy-Ray. Du mußt keine Angst haben.«
»O doch! Ich weiß nicht, wovor, aber ich habe guten Grund dazu.«
»Du denkst das, weil du von Katz befleckt worden bist«, sagte er. »Du weißt, ich würde nie etwas tun, was dich verletzt.
Wir empfinden gemeinsam, oder nicht? Was dir weh tut, tut mir auch weh. Ich mag Schmerzen nicht.« Er lachte. »Ich bin verschroben, aber so verschroben nun auch wieder nicht.«
Mit diesem Argument konnte er sie trotz ihrer Zweifel überzeugen, denn es war die Wahrheit. Sie hatten neun Monate in derselben Gebärmutter verbracht; sie waren zwei Hälften derselben Eizelle. Er wollte ihr nichts Böses.
»Bitte komm«, sagte er und streckte die Hand aus.
Sie ergriff sie. Sofort ließen die Kopfschmerzen nach.
Anstelle des Schwatzens wurde ihr Name geflüstert.
»Jo-Beth?«
»Ja?« sagte
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