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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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ein paar Augenblicke sprechen«, sagte 250
    er. »Sie ist doch da, oder nicht?«
    »Ja, sie ist da. Aber sie will Sie nicht sprechen.«
    »Das würde ich gerne von ihr selbst hören, wenn Sie gestatten.«
    »Ach, tatsächlich?« sagte Mrs. McGuire und machte sehr zu seiner Überraschung die Tür auf.
    Im Haus war es dunkel und auf der Schwelle hell, aber er konnte Jo-Beth trotzdem im Halbdunkel auf der anderen Seite der Diele sehen. Sie war dunkel gekleidet, als stünde eine Beerdigung bevor. Dadurch sah sie noch blasser aus, als sie tatsächlich war. Nur in ihren Augen spiegelte sich etwas Licht von der Schwelle.
    »Sag es ihm«, befahl ihre Mutter.
    »Jo-Beth?« sagte Howie. »Können wir miteinander reden?«
    »Du darfst nicht hierherkommen«, sagte Jo-Beth leise. Ihre Stimme drang kaum aus dem Inneren heraus. Die Luft
    zwischen ihnen war tot. »Es ist gefährlich für uns alle. Du darfst nie wieder hierherkommen.«
    »Aber ich muß mit dir reden.«
    »Es ist sinnlos, Howie. Uns werden schreckliche Dinge zustoßen, wenn du nicht gehst.«
    »Was denn?« wollte er wissen.
    Aber nicht sie antwortete, sondern ihre Mutter.
    »Sie trifft keine Schuld«, sagte die Frau, und jetzt war nichts mehr von der Ablehnung zu spüren, mit der sie ihn begrüßt hatte. »Niemand gibt Ihnen die Schuld. Aber Sie müssen verstehen, Howard, was Ihrer Mutter und mir zugestoßen ist, ist noch nicht vorbei.«
    »Nein, ich fürchte, das verstehe ich nicht«, erwiderte er.
    »Das verstehe ich überhaupt nicht.«
    »Vielleicht ist das auch besser so«, lautete die Antwort.
    »Bitte gehen Sie einfach. Gleich.« Sie wollte die Tür zumachen.
    »W... w... w...«, begann Howie. Aber bevor er Warten Sie 251
    sagen konnte, sah er sich einem zwei Zentimeter von seiner Nasenspitze entfernten Holzfurnier gegenüber.
    »Scheiße«, brachte er ohne Stottern heraus.
    Er stand ein paar Sekunden lang wie ein Narr vor der
    geschlossenen Tür, während auf der anderen Seite Riegel und Ketten wieder an Ort und Stelle gebracht wurden. Eine umfassendere Niederlage war kaum vorstellbar. Nicht nur Mrs.
    McGuire hatte ihm geraten, seine Sachen zu packen, auch Jo-Beth hatte in den Refrain eingestimmt. Er beschloß, das Problem zu vertagen, anstatt noch einen Versuch zu wagen und eine weitere Niederlage zu riskieren.
    Seinen nächsten Anlaufhafen hatte er bereits geplant, noch ehe er sich von der Schwelle abwandte und die Straße
    hinunterging.
    Irgendwo im Wald, auf der anderen Seite des Grove, war die Stelle, wo Mrs. McGuire, seine Mutter und der Komiker allesamt zu Schaden gekommen waren. Vergewaltigung, Tod und Desaster kennzeichneten diese Stelle. Vielleicht gab es irgendwo eine Tür, die nicht so einfach zugeschlagen werden konnte.

    »Es ist am besten so«, sagte Mama, als das Geräusch von Howard Katz' Schritten endlich verklungen war.
    »Ich weiß«, sagte Jo-Beth, die immer noch die verriegelte Tür anstarrte.
    Mama hatte recht. Die Geschehnisse der vergangenen Nacht
    - daß der Jaff ins Haus eingedrungen war und Tommy-Ray geholt hatte - bewiesen nachdrücklich, daß man niemandem trauen konnte. Ein Bruder, den sie gekannt zu haben glaubte und den sie sicher lieb hatte, war ihr mit Leib und Seele von einer Macht genommen worden, die aus der Vergangenheit gekommen war. Auch Howie war aus der Vergangenheit
    gekommen; aus Mamas Vergangenheit. Was immer momentan im Grove vor sich ging, er war ein Teil davon. Vielleicht 252
    Opfer; vielleicht Erzeuger. Doch ob er unschuldig oder schuldig war - wenn sie ihn über die Schwelle dieses Hauses bat, würde sie die geringe Hoffnung auf Erlösung, die sie nach der Auseinandersetzung der vergangenen Nacht hatten, aufs Spiel setzen.
    Das alles machte es freilich nicht leichter zu sehen, wie ihm die Tür zugeschlagen wurde. Auch jetzt noch juckte es ihr in den Fingern, die Riegel zurückzuziehen und die Tür
    aufzureißen; ihn zurückzurufen und an sich zu drücken; ihm zu sagen, daß zwischen ihnen alles gut werden konnte. Was war gut für sie? Daß sie zusammen waren und die Abenteuer erlebten, nach denen sich ihr Herz die ganze Zeit über gesehnt hatte, daß sie diesen Jungen für sich beanspruchte und küßte, der vielleicht ihr eigener Bruder war? Oder daß sie sich inmitten dieser Flut an die alten Werte klammerte, obwohl mit jeder neuen Woge wieder einer davongespült wurde?
    Mama wußte eine Antwort; die Antwort, die sie immer parat hatte, wenn Widersacher auftraten.
    »Wir müssen beten, Jo-Beth. Beten, daß wir

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