Jenseits des Bösen
betrunkener Trinkspruch der vergangenen Nacht: Auf Buddy, tot, aber unvergessen -, fluchte, nahm den Hörer ab und hielt ihn ans Ohr.
»Hallo?« knurrte er.
»Habe ich dich geweckt?«
»Tesla?«
»Ich liebe Männer, die sich an meinen Namen erinnern«, sagte sie.
»Wie spät ist es?«
»Spät. Du solltest wach sein und arbeiten. Ich möchte, daß du deine Arbeit für Abernethy erledigt hast, wenn ich eintreffe.«
»Was sagst du da? Du kommst hierher?«
»Du schuldest mir ein Essen für den Klatsch über Vance«, sagte sie. »Such ein teures Restaurant aus.«
»Wann willst du denn hier sein?« fragte er sie.
»Oh, das weiß ich noch nicht. Gegen...« Noch ehe sie den Satz zu Ende gesprochen hatte, legte er den Hörer auf, grinste das Telefon an und stellte sich vor, wie sie jetzt am anderen Ende fluchte. Aber als er aufstand, verschwand das Lächeln.
Pochende Kopfschmerzen sprengten ihm fast den Schädel; er bezweifelte, ob er überhaupt aufstehen könnte, wenn er dieses letzte Glas leergetrunken hätte. Er wählte den Zimmerservice und bestellte Kaffee.
»Saft dazu, Sir?« fragte die Stimme aus der Küche.
»Nein, nur Kaffee.«
»Eier, Croissants...«
»Gütiger Himmel, nein. Keine Eier. Gar nichts. Nur Kaffee.«
Die Vorstellung, sich zum Schreiben hinzusetzen, war fast so ekelerregend wie der Gedanke an Frühstück. Er beschloß statt 243
dessen, mit Ellen Nguyen, dem Hausmädchen von Vance,
deren Adresse, ohne Telefonnummer, sich immer noch in seiner Tasche befand, Kontakt aufzunehmen.
Durch eine kräftige Dosis Koffein wiederbelebt, stieg er ins Auto und fuhr nach Deerdell. Das Haus, das er nach langem Suchen fand, stand in schroffem Kontrast zu ihrem
Arbeitsplatz auf dem Hügel. Es war klein, heruntergekommen und dringend reparaturbedürftig. Grillo ahnte bereits, was für ein Gespräch ihm bevorstand: Die unzufriedene Angestellte wusch die schmutzige Wäsche ihres Chefs. Gelegentlich waren derlei Informanten nützlich gewesen, aber ebensooft hatten sie tückische, erfundene Geschichten erzählt. In diesem Fall bezweifelte er das. Lag es daran, daß Ellen ihn so verwundbar und herzlich empfing und ihm frischen Kaffee kochte,
nachdem sie ihm guten Tag gesagt hatte; oder weil sie, wenn sie wieder ins Zimmer kam, nachdem sie nach ihrem kranken Kind gesehen hatte, das mit einer Grippe im Bett lag, wie sie erklärte, ihre Geschichte ohne logische Fehler weitererzählte und die Fakten immer die gleichen blieben; oder weil die Geschichte, die sie erzählte, nicht nur dem Ruf von Buddy Vance schadete, sondern auch ihrem eigenen? Letztere
Tatsache überzeugte ihn wahrscheinlich mehr als alle anderen davon, daß sie eine zuverlässige Quelle war. Die Geschichte verteilte die schmutzige Wäsche gleichmäßig.
»Ich war seine Geliebte«, erklärte sie. »Fast fünf Jahre lang.
Selbst wenn Rochelle im Haus war - was nicht oft vorkam -, fanden wir Mittel und Wege, zusammenzusein. Oft. Ich glaube, sie hat es die ganze Zeit gewußt. Darum hat sie mich bei erster Gelegenheit hinausgeworfen.«
»Also sind Sie nicht mehr in Coney angestellt?«
»Nein. Sie hat nur auf eine Ausrede gewartet, mich zu feuern, und Sie haben sie geliefert.«
»Ich?« sagte Grillo. »Inwiefern?«
»Sie sagte, ich hätte mit Ihnen geflirtet. Typisch für sie, daß 244
sie so etwas als Grund nannte.« Nicht zum erstenmal im Verlauf ihrer Unterhaltung hörte Grillo heftige Gefühle heraus
- in diesem Fall Verachtung -, die das passive Äußere der Frau kaum verriet. »Sie mißt alle nach ihrem Maß«, fuhr sie fort.
»Und das kennen Sie ja.«
»Nein«, sagte Grillo unverblümt. »Das kenne ich nicht.«
Ellen sah ihn erstaunt an. »Warten Sie hier«, sagte sie zu ihm. »Ich will nicht, daß Philip das alles mit anhören muß.«
Sie stand auf, ging ins Zimmer ihres Sohnes, sagte etwas zu ihm, das Grillo nicht verstand, machte die Tür zu, kam wieder zu ihm zurück und fuhr mit ihrer Geschichte fort.
»Er hat in einem Schuljahr schon mehr schlimme Worte gelernt, als mir lieb ist. Ich möchte, daß er die Chance hat... ich weiß nicht, unschuldig zu sein? Ja, unschuldig, und sei es nur eine kurze Weile. Die häßlichen Dinge kommen noch früh genug, oder nicht?«
»Die häßlichen Dinge?«
»Sie wissen schon: Menschen, die einen betrügen und verraten. Sex-Angelegenheiten. Macht-Angelegenheiten.«
»Klar«, sagte Grillo. »Die kommen.«
»Ich habe Ihnen von Rochelle erzählt, richtig?«
»Ja, das haben Sie.«
»Nun, es
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