Jenseits des Bösen
ist ganz einfach: Bevor sie Buddy geheiratet hat, war sie eine Hure.«
»Was war sie?«
»Sie haben schon richtig gehört. Warum überrascht Sie das so sehr?«
»Ich weiß nicht. Sie ist so schön. Es muß doch andere Möglichkeiten gegeben haben, Geld zu verdienen.«
»Sie hat teure Gewohnheiten«, antwortete Ellen. Wieder Verachtung, diesesmal mit einer Spur Ekel.
»Hat Buddy das gewußt, als er sie geheiratet hat?«
»Was? Die Gewohnheiten oder daß sie eine Hure war?«
»Beides.«
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»Ich bin ganz sicher. Ich schätze, darum hat er sie geheiratet.
Sehen Sie, Buddy hat reichlich perverse Neigungen. Tut mir leid, ich meine hatte. Ich kann mich nicht damit abfinden, daß er tot ist.«
»Es muß sehr schwer für Sie sein, so kurz nach dem Verlust über das alles zu reden. Tut mir leid, daß Sie das durchmachen müssen.«
»Ich mache es doch freiwillig, oder?« antwortete sie. »Ich möchte, daß es jemand weiß. Ich möchte, daß es alle wissen.
Er hat mich geliebt, Mr. Grillo. Mich hat er wirklich geliebt, die ganzen Jahre über.«
»Und ich nehme an, Sie ihn auch?«
»O ja«, sagte sie leise. »Sehr. Er war natürlich egoistisch, aber alle Männer sind egoistisch, oder nicht?« Sie ließ Grillo keine Zeit, sich selbst auszunehmen, bevor sie fortfuhr. »Sie werden alle in dem Glauben erzogen, daß sich die Welt nur um sie dreht. Ich mache bei Philip denselben Fehler. Ich weiß es.
Der Unterschied bei Buddy ist, daß sich die Welt eine Zeitlang tatsächlich um ihn gedreht hat. Er war einer der beliebtesten Männer Amerikas. Ein paar Jahre. Jeder kannte sein Gesicht, jeder hatte seine Witze parat. Und selbstverständlich wollten sie alles über sein Privatleben wissen.«
»Demnach ist er ein großes Risiko eingegangen, eine Frau wie Rochelle zu heiraten?«
»Das würde ich sagen, Sie nicht? Besonders da er versuchte, ein neues Programm zu machen und einen Fernsehsender dazu zu bringen, ihm eine Sendung zu geben. Aber wie schon gesagt, er hatte perverse Neigungen. Manchmal war er
regelrecht selbstzerstörerisch.«
»Er hätte Sie heiraten sollen«, bemerkte Grillo.
»Er hätte Schlimmeres machen können«, bemerkte sie. »Er hätte viel Schlimmeres machen können.« Dieser Gedanke brachte Gefühle ans Licht, die nur durch Abwesenheit geglänzt hatten, während sie von ihrer eigenen Rolle sprach. Tränen tra-246
ten ihr in die Augen. Gleichzeitig rief der Junge aus seinem Zimmer. Sie hielt eine Hand vor den Mund, um ihr Schluchzen zu unterdrücken.
»Ich gehe«, sagte Grillo und stand auf. »Sein Name ist Philip?«
»Ja«, sagte sie, doch das Wort war beinahe unverständlich.
»Ich kümmere mich um ihn, keine Sorge.«
Als er hinausging, wischte sie sich mit den Handrücken Trä-
nen von den Augen. Er machte die Tür zum Kinderzimmer auf und sagte:
»Hi, ich bin Grillo.«
Der Junge, dessen Gesicht die feierliche Symmetrie seiner Mutter hatte, saß aufrecht im Bett und war von einem
Durcheinander von Spielsachen, Malstiften und bekritzelten Blättern umgeben. Der Fernseher in der Ecke war
eingeschaltet, doch der Trickfilm lief ohne Ton.
»Du bist Philip, richtig?«
»Wo ist Mama?« wollte der Junge wissen. Er machte kein Hehl daraus, daß er Grillo gegenüber mißtrauisch war, und sah an ihm vorbei nach seiner Mutter.
»Die kommt gleich«, versicherte Grillo ihm und ging ans Bett. Die Bilder, die größtenteils von der Daunendecke heruntergerutscht waren und auf dem Fußboden lagen,
schienen alle dieselbe aufgeblähte Gestalt zu zeigen. Grillo ließ sich auf die Hacken nieder und hob eines auf. »Wer ist das?«
fragte er.
»Ballon-Mann«, antwortete Philip ernst.
»Hat er auch einen Namen?«
»Ballon-Mann«, lautete die Antwort mit einer Spur Ungeduld.
»Ist er aus dem Fernsehen?« fragte Grillo und studierte die bunte Nonsens-Kreatur auf dem Blatt.
»Nö.«
»Woher dann?«
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»Aus meinem Kopf.«
»Ist er freundlich?«
Der Junge schüttelte den Kopf.
»Er beißt, nicht?«
»Nur dich«, lautete die Antwort.
»Das ist aber nicht sehr höflich«, hörte Grillo Ellen sagen. Er sah über die Schulter. Sie hatte versucht, die Tränen zu verbergen, aber ihren Sohn, der Grillo vorwurfsvoll ansah,
überzeugte sie damit offensichtlich nicht.
»Sie sollten ihm nicht zu nahe kommen«, sagte Ellen. »Er war ziemlich krank, stimmt's?«
»Jetzt ist es wieder gut.«
»Nein. Du bleibst im Bett, bis ich Mr. Grillo zur Tür gebracht habe.«
Grillo stand auf und legte das Bild zu den
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