Jenseits des Bösen
anderen Porträts auf das Bett.
»Danke, daß du mir den Ballon-Mann gezeigt hast«, sagte er.
Philip antwortete nicht, sondern machte sich wieder an die Arbeit und malte ein anderes Bild rot an.
»Was ich Ihnen gesagt habe...«, sagte Ellen, als das Kind sie nicht mehr hören konnte, »... ist nicht die ganze Geschichte.
Glauben Sie mir, es gibt noch viel mehr. Aber ich bin noch nicht bereit, es zu erzählen.«
»Wenn, dann bin ich bereit, es mir anzuhören«, sagte Grillo.
»Sie finden mich im Hotel.«
»Vielleicht rufe ich an. Vielleicht auch nicht. Was ich Ihnen sage, ist nur ein Teil der Wahrheit, nicht? Das Wichtigste ist Buddy, und den werden Sie niemals in Worte fassen können.
Niemals.«
Dieser Gedanke zum Abschied ging Grillo durch den Kopf, als er durch den Grove zum Hotel zurückfuhr. Es war eine
einfache, aber durchaus gewichtige Feststellung. Buddy Vance war tatsächlich im Mittelpunkt dieser Geschichte. Sein Tod 248
war rätselhaft und tragisch zugleich; aber das Leben, das ihm vorangegangen war, war noch rätselhafter. Er hatte so viele Hinweise auf dieses Leben, daß er außerordentlich fasziniert war. Die Jahrmarktsammlung, die sich an den Wänden von Coney Eye drängte - die wahre Kunst Amerikas; die
moralische Geliebte, die ihn immer noch liebte; die Ehefrau-Hure, die ihn höchstwahrscheinlich nicht liebte und auch nie geliebt hatte. Das alles war auch ohne die Pointe des absurden Todes eine verdammt gute Story. Die Frage war nicht, ob er sie erzählen sollte, sondern wie.
Abernethys Meinung zu der Sache war ihm klar. Er würde Mutmaßungen den Vorzug vor Fakten geben, und Dreck dem Vorzug vor Würde. Aber hier im Grove gab es Geheimnisse.
Grillo hatte sie gesehen, sie waren aus dem Grab von Buddy Vance herausgekommen, nichts Geringeres, und himmelwärts gestrebt. Es war wichtig, diese Geschichte ehrlich und gut zu erzählen, denn andernfalls würde er nur noch größere
Verwirrung stiften, womit keinem ein Gefallen getan wurde.
Aber eins nach dem anderen; er mußte die Fakten so
festhalten, wie er sie in den vergangenen vierundzwanzig Stunden erfahren hatte: von Tesla, von Hotchkiss, von Rochelle und jetzt von Ellen. Daran machte er sich, sobald er im Hotel war, und fertigte eine Rohfassung des Buddy-Vance-Artikels in Handschrift an, während er an dem winzigen Schreibtisch im Zimmer saß. Sein Rücken schmerzte beim Arbeiten, und erste Anzeichen von Fieber trieben ihm den Schweiß auf die Stirn. Aber das bemerkte er gar nicht - oder erst, als er schon über zwanzig Seiten Notizen aufgeschrieben hatte. Erst als er danach aufstand und sich nach der Arbeit streckte, stellte er fest, daß ihn zwar der Ballon-Mann nicht gebissen hatte, aber dafür die Grippe dessen Schöpfers.
249
VI
l
Auf dem Weg vom Einkaufszentrum zu Jo-Beths Haus wurde Howie mehr als klar, warum sie so ein Aufhebens darum gemacht hatte, daß die Ereignisse zwischen ihnen - besonders der gemeinsame Schrecken im Motel - das Werk des Teufels war.
Kein Wunder, arbeitete sie doch mit einer äußerst religiösen Frau in einer Buchhandlung, die vom Boden bis zur Decke mit Mormonen-Literatur vollgestopft war. So schwierig seine Unterhaltung mit Lois Knapp gewesen war, sie hatte ihm einen besseren Eindruck von der Herausforderung vermittelt, die vor ihm lag. Er mußte Jo-Beth irgendwie davon überzeugen, daß die Leidenschaft, die sie füreinander empfanden, kein Verbrechen gegen Gott oder die Menschheit war und daß nichts Dä-
monisches in ihm lauerte. Er konnte sich geringere Probleme vorstellen.
Wie sich herausstellte, bekam er keine Chance, sie zu überzeugen. Er klopfte und läutete fünf Minuten lang, weil er instinktiv wußte, daß jemand im Haus war. Erst als er wieder auf die Straße gegangen war und anfing, zu den zugezogenen Fenstern hinaufzubrüllen, hörte er, wie die Sicherheitsketten hinter der Tür weggenommen wurden. Er ging zur Schwelle zurück und bat die Frau, die ihn durch den Spalt hindurch ansah, wahrscheinlich Joyce McGuire, ihre Tochter sprechen zu dürfen.
Normalerweise hatte er bei Müttern immer Erfolg gehabt. Sein Stammeln und die Brille verliehen ihm das Aussehen eines fleißigen und etwas introvertierten Studenten; sichere Gesellschaft. Aber Mrs. McGuire wußte, daß der Schein häufig trog. Ihr Rat war eine Wiederholung dessen von Lois Knapp.
»Sie sind hier nicht erwünscht«, sagte sie zu ihm. »Gehen Sie wieder nach Hause. Lassen Sie uns in Ruhe.«
»Ich muß Jo-Beth nur
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