Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
Unterhaltung mit einer Katze führen. Wahrscheinlich werde ich langsam lau im Hirn.“
Sie sah ihn herablassend an und spazierte zurück zu der Untertasse, die ihr Abendessen enthielt. Ian setzte sich auf die Couch und nahm sein Buch wieder auf.
Milch und Wurst waren viel zu schnell gegessen, und nichts hatte je besser geschmeckt. Wenn man hungrig war, wurde auch das Einfachste zur Delikatesse, und ihr war klar, dass – was schmackhaftes Essen anging – sie nun bescheidner werden musste. Katzen hatten nicht groß die Wahl.
Sie wandte sich von dem unerfreulich leeren Tellerchen ab und sah hinüber zu Ian, doch der Kopf des jungen Mannes war tief in ein Buch versenkt. Die steile Stirnfalte schien anzudeuten, dass er intensiv mit seinen Studien beschäftigt war. Er besaß die Unverfrorenheit, noch nicht einmal nachzuprüfen, ob sie denn auch satt war. Sie musste ihm dringend beibringen, etwas aufmerksamer zu werden. Es gehörte sich für junge Herren, aufmerksam und eifrig zu sein – und zwar nicht, was Bücher anging, sondern vor allem das Wohlbefinden junger Damen betreffend.
Tatsächlich war sie ungehalten darüber, dass er ihre Bedürfnisse so gänzlich vernachlässigte. Es bedurfte ihres ganzen menschlichen Taktgefühls und Einfühlungsvermögens, um sich zu sagen, dass sie zu füttern eventuell nicht das Wichtigste war, was in seinem Kopf vorging. Während sie noch darüber nachgrübelte, versetzte sie die plötzliche Erkenntnis in Angst und Schrecken, dass ihr die Gefühle einer Katze näher waren als die eines Mädchens.
Plötzlich fühlte sie sich sehr verloren. Alles hatte sie verloren, ihr Zuhause, ihre Eltern, ihre Besitztümer, ihr gesamtes, behütetes Leben. Sich selbst hatte sie verloren. Da stand sie nun auf allen vieren, zuckte unglücklich mit der Schwanzspitze und war ansonsten gänzlich unfähig, irgendjemandem klarzumachen, dass sie dringender Hilfe bedurfte.
Sie hatte Glück gehabt, dass der Künstler sie gerettet hatte. Noch mehr Glück war es, dass er Katzen offenbar mochte und sie mitgenommen hatte. Wer nahm sich schon einer streunenden Straßenkatze an? Kein vernünftiger Mensch würde so etwas tun. Ihr Vater sicher nicht, und ganz gewiss nicht ihre Stiefmutter. Niemand, den sie kannte, würde so etwas gänzlich Ungewöhnliches tun. Sie war nicht einmal eine Rassekatze, nicht die Art Edelmieze, die ältere Damen als Haustier bevorzugten, ein wuscheliges Wollknäuel mit einem wohlklingenden Stammbaum.
Catrin, das Kätzchen, hatte keinen Stammbaum. Fluffig war sie zwar, ihr Fell war weich und lang, und es hatte eine hübsche Ingwerfarbe. Dunkleres Orange alternierte mit helleren Streifen. Ihre Pfoten waren hübsch ordentlich weiß, ebenso wie ihr Bauchfell. Sie hatte das herausgefunden, als sie sich geputzt hatte.
Der Künstler hatte sie hübsch gefunden. Vielleicht hatte er sie ja auch als Mädchen gemocht?
Sie erinnerte sich seiner Umarmung. Noch nie hatte sie sich so sicher gefühlt, wenngleich auch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Dann hatte das Grauen sie wieder im Griff, jagte sie und hatte sie schließlich verwandelt.
Warum? Warum hatte die Spinne das getan?
Sie verstand es immer noch nicht.
Sie würde es auch an diesem Tag ganz bestimmt nicht mehr herausfinden, und somit wandte sich ihr Gemüt weitaus wichtigeren Dingen zu. Irgendwie musste sie Ian McMullen klarmachen, dass sie noch Hunger hatte. Er schien kein schlechter Kerl zu sein, selbst wenn er versucht hatte, ihr Geschlecht herauszufinden. Schließlich wusste er ja nicht, dass sie eine junge Dame war und er Abstand zu halten hatte. Wie hatte sie sich geschämt, als er versucht hatte, sie näher zu inspizieren. Es war ein vollkommen menschliches Gefühl, und wenn sie jetzt so darüber nachdachte, vielleicht auch ein wenig überzogen.
Doch auch Katzen hatten ein Anrecht auf Privatsphäre. Sie waren vermutlich die einzigen Tiere, die das hatten.
Sie hatte unterwegs nicht versucht, mit einer anderen Katze Kontakt aufzunehmen. Zu sehr hatte sie Angst gehabt, sie würde in ein fremdes Revier einbrechen und kämpfen müssen. Kämpfen wollte sie nicht. Sie wusste ja nicht einmal, wie sie reagieren sollte. Ob sie sich auf Katzensprache würde verständlich machen können? Gab es eine Körpersprache, die sie vielleicht verstand oder auch nicht?
Der Gedanke, die einzige Katze zu sein, die eigentlich ein Mensch war, ängstigte sie. Unendlich einsam würde sie dann sein. Auf der anderen Seite wäre es sicherlich nicht
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