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Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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trockene Stimme, die zu einem Mann Ende zwanzig mit ernstem und strengem Gesicht gehörte. Er saß etwas steif auf einem Stuhl und hielt in der Linken ein Paar Krücken. „Schachfiguren sind wir tatsächlich, und wir können die Realität nur als die wahrscheinlichste Antwort auf ein Problem sehen, das aus unzusammenhängenden Sinnlosigkeiten besteht. Vielleicht ist alles ganz anders. Ich halte das für absolut vorstellbar, fürchte ich.“
    „Du lieber Himmel, das ist aber verwirrend“, lächelte Frau Lybratte. „Wie wollten Sie denn mit der Wirklichkeit umgehen, wenn Sie sie letztlich nicht für wirklich halten, Herr von Orven? Oder hoffen Sie einfach, dass sie in Wirklichkeit anders ist, mehr so wie Sie sie gerne hätten?“
    Der junge Mann schenkte ihr ein Lächeln, das seine hellblauen Augen nicht erreichte. Er beantwortete die Frage nicht. Vielleicht fand er sie ein wenig beleidigend, vielleicht auch zu nahe an der Wahrheit. Eine andere Wirklichkeit, in der er seinen Körper nicht auf Krücken würde durch die Welt schleppen müssen, mochte dem versehrten Veteran des Sechsundsechziger Krieges wohl zupasskommen. Die Aufmerksamkeit seiner schönen Gastgeberin glitt jedoch bereits wieder von ihm ab, als die Hauptdisputanten ihr Wortgefecht fortsetzten.
    „Wenn nichts wahr ist, sofern man nicht das ultimative Gesamtwissen von allem und jedem hat, wie sollte man je etwas beurteilen können?“, fragte Feuerbach. „Was wäre die Erfahrung der gesamten menschlichen Rasse und ihrer Entwicklung wert, wenn wir bis zur endgültigen Erleuchtung warten müssten, um zu wissen ob überhaupt irgendetwas wirklich und wahr ist?“
    „Das scheint mir eine religiöse Frage zu sein“, murmelte von Orven, „nicht so sehr eine philosophische.“
    „Aber nein“, gab der Philosoph zurück und wandte sich ein wenig nach dem Invaliden um. „Es ist einfach eine Grundsatzfrage. Sollten Dichter dichten, wenn sie doch fürchten müssen, dass sie ultimativ weder Wahrheit noch Perfektion erreichen können? Sollten Ärzte heilen, wenn sie doch nicht den Tod besiegen können? Sollten Mathematiker weiterhin die Gefilde der Zahlen erforschen, wenn es doch nur eine einzige ultimative Lösung gibt, und alles, was man vorher tut, falsch und nichtig ist? Würde das nicht die Myriade an Möglichkeiten auf nur noch zwei reduzieren? Richtig – falsch. Ja – nein. Null – eins. Würde Ihnen das gefallen, Lybratte?“
    Der Professor lachte.
    „Mein lieber Freund, ich mag ja die Sphären höheren Verständnisses und ultimativer Weisheit noch nicht erreicht haben und werde sie wohl auch nicht erreichen, aber ich bin mir sicher, dass die Mathematik nie so armselig werden wird, dass sie sich nur mit zwei Zahlen begnügt. Das, lassen Sie mich Ihnen versichern, kann zu überhaupt nichts führen.“
    Die Herren lachten, die Dame auch. Nur der Blonde mit den Krücken zuckte die Achseln und meinte:
    „Ich weiß nicht. Ein binäres System …“
    Doch man ignorierte ihn, denn in diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und ein Diener kündigte einen neuen Gast an.
    „Lord Edmond Roth-Crately.“
    Die Tür schloss sich hinter dem jungen Mann, der die versammelten Damen und Herren anlächelte. Sie lächelten genauso höflich und offen zurück.
    „Mein lieber Lord Edmond“, rief der Gastgeber aus, wandte sich von dem Philosophen ab und ging auf den neuen Gast zu. „Es ist großartig von Ihnen, uns mit Ihrem Besuch zu beehren. Wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen. Ich erinnere mich nicht einmal mehr …“ Einen Augenblick lang sah er verwirrt und verloren aus, dann lächelte er wieder und fuhr fort. „Doch es tut nichts zur Sache. Sie sind hier, und Sie sind sehr willkommen. Bitte, darf ich Ihnen meine Frau vorstellen?“
    Frau Lybrattes Lächeln wirkte gezwungen.
    „Mylord“, sagte sie, „welch ungeahnte … Überraschung.“
    Sie knickste höflich, und er neigte sich über ihre Hand.
    „Hochverehrte Frau Lybratte, es ist ein Vergnügen, Sie wiederzusehen.“ Der weißhaarige junge Mann wandte sich wieder an seinen Gastgeber. „Lybratte, mein Freund, ich habe Sie durch mein Kommen doch nicht überrascht?“
    „Aber nein“, versicherte der Professor. „Absolut nicht. Hatten wir Sie nicht erwartet? Ich meine, mich zu erinnern …“ Er blickte verwirrt. „Sicher haben wir Sie erwartet, nicht wahr, mein Liebes?“ Er wandte sich seiner Gattin zu, die den Neuankömmling mit einem misstrauischen Blick bedachte.
    „Natürlich

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