Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
gehörte Österreich nicht mehr zu Deutschland, nannte sich Österreich-Ungarn und richtete den Blick gen Osten. Preußen aber hatte sich eine Vormachtstellung in dem übriggebliebenen Bund deutscher Kleinstaaten und Königreiche erobert, von denen einige vollständig verschwunden waren und nun direkt zu Preußen gehörten. Der junge bayerische König hatte sich der neuen Ordnung gebeugt. Manche sagten, er habe es ungern getan, manche wieder behaupteten, er habe es allzu schnell getan, und wieder andere waren der Ansicht, dass diese Entscheidung für ihn eventuell lukrativ gewesen war. Einen Unterschied machte es nicht. Die Welt hatte sich nach der Schlacht von Königgrätz für Deutschland verändert. Am gleichen Tag hatte sich auch die Welt von Asko von Orven und Charlotte verändert.
Auf dem Schlachtfeld zwischen all den Toten und Sterbenden hatte man ihn nicht gleich gefunden, und als man ihn fand, hielt man ihn zunächst für gefallen und tot. Es war sein Freund, Leutnant von Görenczy, gewesen, der seinen leblosen Körper zu den Sanitätern gebracht hatte. Eine Kugel war in seinen Unterleib gefahren und hatte seine Hüfte zerschmettert. Er hatte mehr Blut verloren, als man gemeinhin überlebte.
So hatten sie nicht geglaubt, dass er leben würde, und als er überlebte, hatten sie nicht geglaubt, dass er das Bewusstsein je wiedererlangen würde. Als er aus der Bewusstlosigkeit erwachte, hatten sie ihm gesagt, er würde nie mehr gehen können.
Pflichtbewusster Narr, der er war, hatte er daraufhin Charly von ihrem Versprechen entbunden, damit sie sich nicht an einen Krüppel gebunden fühlte.
„Aber ich liebe dich“, hatte sie argumentiert. Sie war aus Österreich zu ihm gereist, sobald sie von dem Unglück hörte. Das Leiden, das sie in seinem schmerzzerfurchten Gesicht sah, hatte sie beinahe zerrissen. Die bittere Hoffnungslosigkeit, die er ausstrahlte, erschütterte sie noch mehr. Einfach ungefragt beiseite geschoben zu werden machte sie wütend.
„Tut mir leid“, hatte er gesagt. „Meine Gefühle für dich haben sich gewandelt.“
„Das glaube ich nicht!“
„Sei vernünftig. Du kannst keinen Krüppel heiraten. Ich kann nicht gehen, ich bin kein Soldat mehr, nur ein Invalide aus einem sinnlosen Krieg, von dem niemand etwas wissen will. Ich bin eine bloße Peinlichkeit, und ich kann eine Frau nicht erhalten und ernähren.“
„Das musst du auch nicht. Ich bin ziemlich gut situiert.“ Sie wusste, dass es das falsche Argument war in dem Moment, als sie es ausgesprochen hatte. Seine Züge versteinerten.
„Ich bin kein Heiratsschwindler. Ich habe nicht mehr viel übrig in diesem Leben. Aber ich habe noch meine Ehre. Die wenigstens ist mir geblieben.“
Sie starrte ihn böse an. Sie hasste seinen überzogenen Ehrbegriff. Von Anfang an war diese Ehrduseligkeit ihnen im Weg gewesen. Seine gottverdammte Ehre behinderte ihn mehr als ein kaputtes Bein es je können würde.
„Ich wollte keineswegs andeuten, es gebräche dir an Ehrgefühl. Alles, was ich sagen wollte, war, dass wir uns um die – vorübergehende – Zeit deiner Genesung keine Sorgen machen müssen. Du bist nicht gerade ein Bettler, und ich auch nicht. Wir werden beide ausreichend versorgt sein, bis du eine Möglichkeit findest, einen Lebensunterhalt zu sichern – mit deinem überragenden Erfindergeist. Ich weiß, dass dir das gelingen wird. Ich weiß es, weil du der sturste, starrköpfigste Mensch bist, den ich kenne. Ich glaube an dich. Warum solltest du also nicht selbst auch an dich glauben? Du wirst eine Lösung finden, weil genau das deine Art ist. Du findest immer eine.“
„Ich bin nur noch eine Belastung. Du kannst doch nicht ernsthaft an so einen Haufen halbtoten Fleisches gebunden sein wollen. Mitleid will ich nicht.“
„Was ich fühle, ist nicht Mitleid, du lieber Himmel! Es ist Liebe. Wenn du mir auf die Bibel schwören kannst, dass du mich nicht mehr liebst, dann höre ich sofort auf, hier eine Szene zu machen, und verschwinde, um anderen von meinem Herzeleid die Ohren vollzujammern. Aber du musst schwören. Ich werde dir ganz gewiss nicht den Rest meines Lebens hinterherweinen, nur weil dein verdammter Stolz im Weg war.“
„Charlotte …“
„Wenn dein Stolz wirklich das einzige ist, das dich hindert, dann musst du den eben einmal überwinden. Wir beide. Wenn ich dich vor dem Krieg schon geheiratet hätte, wäre das jetzt noch nicht einmal eine Frage. Ich wäre deine Frau, in guten und in schlechten Tagen.
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