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Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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der Gouvernante schon fast hören. Was sie tat, war ungehörig. Sie sah auf ihre Füße, von ihnen perlte silbriger Tau. Sie trug nichts außer ihrem Nachthemd und der Nachthaube, merkte sie nun, und der feine, weiße Stoff spiegelte das Mondlicht wieder, das auf sie niederfiel.
    Sie blieb stehen. Er wandte sich zu ihr um, sein Lächeln durchdrang sie. Freundlichkeit stand in seinen Augen, Zuverlässigkeit. Liebe zog an ihr.
    „Komm nur, mein topasäugiger Liebling“, sagte er. „Wir sind fast da.“
    Ein Finger fuhr an ihren Lippen entlang, öffnete sie, eroberte ihren Mund. Sie tat nichts, stand nur da und ließ es geschehen und wunderte sich, warum es ihr gefiel, von ihm derart berührt zu werden. Sie hob den Kopf ein wenig, erwartete von ihm geküsst zu werden, doch er blickte nur auf ihr Gesicht hinunter, begann es mit allen zehn Fingern zu erforschen. Dann fuhren seine Hände in ihr Haar, das sie zu einem Zopf geflochten unter der Nachthaube trug.
    Er nahm sich Zeit, ihr die Nachthaube vom Kopf zu ziehen. Dann strich er langsam durch ihr Haar, öffnete es, ließ es über ihren Rücken hinunter fallen. Helle Kupfersträhnen in einer Welt, in der es sonst nur Schwarz, Weiß und Silber gab. Es passte nicht. Sie griff nach seinem Haar, das weiß im Licht schimmerte, wie Schnee so rein. Es fühlte sich wie teure Seide an, vielleicht noch glatter.
    „Komm!“, sagte er noch einmal, und seine Einladung war seltsam zwingend. „Wir sind fast da.“
    Durch ein Labyrinth aus nachtglänzenden, zerbrochenen Bogengängen führte er sie zum Mittelpunkt des Schlosses. Sie konnte die Sommernacht riechen, und ihr fiel ein, dass es doch erst Frühling war und dass ihr kalt sein sollte.
    Doch es war warm.
    Eine Quelle entsprang aus der Mitte. Sie plätscherte neben einer Säule hervor und jemand hatte einen Kelch daneben hingelegt. Er kniete sich hin, füllte den Kelch mit frischem Wasser. Mit beiden Händen hielt er ihn ihr entgegen, während er immer noch vor ihr kniete, und sie stellte mit einem Mal fest, dass er vollkommen nackt war. Es war ihr noch gar nicht aufgefallen. Ihr Blick wanderte von seinem perfekten Gesicht über seine haarlose Brust bis zu seiner privatesten Stelle, und sie bemerkte Körperteile, die sich von den griechischen Statuen, die sie in der Glyptothek gesehen hatte, doch um Einiges unterschieden. Zum einen fehlte das Feigenblatt. Feigenblätter hätten auch nicht ausgereicht.
    Ihre kunsthistorischen Ausflüge hatten sie keinesfalls auf die speerartige Perfektion vorbereitet, die aus seinem silberweißen Haar ragte. Sie wandte den Blick ab, sah zum Vollmond. Den Mond anzusehen konnte nicht verkehrt sein. Ihr Herz schlug schuldbewusst vor Scham.
    „Trink das, kleine Catrin“, lächelte er, und sie wusste, dass der Kelch süßen, goldenen Wein enthielt.
    Sie trat zurück. Plötzliches, unerklärliches Verlangen riss an ihr, verleitete sie fast, den Kelch zu leeren, sich zurückzulehnen und sich von seinen weißen Händen berühren zu lassen.
    „Hast du Angst vor mir?“, fragte er, und seine Stimme plätscherte wie die Quelle. Ein Anflug von Humor lag in seinen Augen.
    Nein wollte sie sagen. Ja wäre die Wahrheit gewesen. Sie nahm ihre eigene Atmung übermäßig laut wahr, stellte fest, wie rhythmisch sie war. Er fasste sie nicht einmal an, und doch fühlte sie sich liebkost. Der Nachtwind fuhr ihr die Beine empor, strich über ihre Haut, ließ ihr Nachtgewand flattern wie Segel im Wind. Ein kühler Lufthauch streichelte sie mit sanfter Präzision. Ihre Haut prickelte, und sie fand die intime Berührung des Windes ein wenig peinlich.
    „Es ist ganz einfach, mein Liebchen“, sagte er. „Wenn man es mit deinem sonst so schwierigen Leben vergleicht, ist es wahrlich einfach. Ich spüre, dass du es willst. Du. Willst. Dein Wollen brennt aus dir hervor. Lass es heraus. Komm, trink meinen Wein.“
    Sie liebte ihn. Dessen war sie nun sicher. In diesem einen besonderen Moment war der Zweifel daran verflogen.
    Dann war ihr Nachthemd verschwunden, flog in der sanften Brise davon, dabei konnte sie sich nicht einmal erinnern, es über ihren Kopf gezogen zu haben. Ganz sicher hätte sie so etwas nicht getan.
    Sie sah an sich hinab. Ohne Taschentücher im Ausschnitt sah sie nur dünn und unbeeindruckend aus. Zu jung. Zu unreif. Nicht wie man mit siebzehn aussehen sollte, wenn man schließlich im heiratsfähigen Alter war. Kleidung hatte wahrlich etwas für sich. Sie schützte. Doch nun war sie ohne Schutz. Sie

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