Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
vorbeigerauscht?“
Ian ignorierte die Beleidigung.
„Treynstern, ich kann dich nicht zwingen, an die Sí zu glauben. Ich könnte mir nur vorstellen, dass du irgendwann eine Überraschung erleben wirst. Ich habe Feyons getroffen. Mehr als nur einen. Sie sind alle sehr unterschiedlich und scheinbar keinerlei erkennbaren Regeln unterworfen, aber sie existieren durchaus. Ich habe deine Zeichnungen gesehen. Du malst die Sí.“
„Ich male Märchen.“
„Vor hundert Jahren wäre die Idee einer dampfgetriebenen Lokomotive, die einen Zug zieht, auch ein Märchen gewesen.“
„Lieber Himmel!“, rief Thorolf aus. „Na und? Das ist Fortschritt. Du redest über Rückschritt. Zurück ins finstre Mittelalter. Ich will dich nicht beleidigen, aber …“
„… aber unser Weltverständnis ist unterschiedlich. Das tut aber nichts zur Sache. Mal du nur weiter deine Märchenvisionen, und ich lerne, wie man Träume von Wirklichkeit unterscheidet – und beide zu schützen versucht.“ Ian lehnte sich zurück und lächelte. „Lass dich nicht davon irritieren, dass ich einem Weltverständnis nachhänge, das dir unangenehm ist. Wir können unsere Überzeugung nicht alle nach dem ausrichten, was zu glauben gerade in Mode ist. Fortschritt und Dampfkraft sind modern. An das Übernatürliche zu glauben und Hausmäntel à l ’ égyptien zu tragen sind es nicht.“
Einen Augenblick lang blickte Thorolf ein wenig betreten, dann strich er über das verblasste Material seines Kleidungsstückes und grinste.
„Man weiß ja nie. Wenn sie erst den Kanal eröffnen, werde ich vielleicht wieder ganz modern damit sein – und meinen Fez tragen, obwohl er sich mit meiner Haarfarbe beißt.“
„Eben. Moden ändern sich. Man weiß nie. Bis sie den Kanal fertig haben, besitzt du vielleicht schon einen ganzen Harem an verführerischen, bauchtanzenden Frauen. Oder du verliebst dich unsterblich und heiratest ein niedliches, kleines Frauchen. Oder du triffst bis dahin einen echten Feyon, und wenn du Glück hast, lässt er dich nicht vergessen, dass du ihn getroffen hast oder was er ist. Oder sie. Aber, da du ja nicht an sie glaubst, wirst du sie vermutlich für so normal halten wie jeden anderen Nachbarn.“
Thorolf kicherte und goss sich noch einen Kaffee ein.
„Sehen sie so aus? Wie unsere Nachbarn? Oder sollte ich meine Wahrnehmungsfähigkeit schärfen, wenn ich das nächste Mal Fräulein Obermeier treffe, die dürre Jungfer aus dem ersten Stock? Wie sehen sie eigentlich aus? Fey-Wesen meine ich, nicht alte Jungfern.“
„Kann ich dir nicht sagen. Sie sind sehr unterschiedlich, manche können ihre Gestalt verändern oder haben mehrere Erscheinungsformen. Zumindest wird das behauptet. Genaues weiß man nicht. Man weiß überhaupt nicht viel über sie. Nicht einmal Arkanlogen wissen besonders viel.“
„Hattest du nicht gesagt, du hättest welche getroffen?“ Thorolf war nicht ganz sicher, ob er den Freund mit seiner Spöttelei beleidigte, doch der jüngere Mann fuhr ganz ernst fort.
„Nun ja. Ich habe einen grünhaarigen …“
„… unpassend bekleideten …“
„… aber auch gut aussehenden, arroganten und ziemlich beeindruckenden Wassermann getroffen, der recht menschlich wirkte – wenn man von den Schuppen mal absah.“
„Nicht zu vergessen das grüne Haar …“ Thorolf hatte sich wieder gesetzt, Block und Bleistift ergriffen und zeichnete eifrig.
„Da war dann noch der Traumweber, klein, blass und verhutzelt mit unendlich vielen Zähnen – mehreren Reihen. Ich habe seine Gestalt eher gefühlt als tatsächlich gesehen. Ich kannte ihn recht gut. Allzu gut.“
„Etwas für Alpträume. Wie schön!“
„Er konnte auch schöne Träume schicken. Das Gute kommt mit dem Bösen. Außerdem konnte er Herzen binden.“
„Woran?“
„Rate mal. Dann war da noch der schwarzhaarige, schwarzäugige Nachtjäger mit den feinen Manieren und frappanten Essgewohnheiten …“
„Lass mich raten! Er trank das Blut unschuldiger Jungfrauen, die er in seine sündige Höhle lockte. Obwohl man das wohl nicht als feine Manieren bezeichnen kann. Übrigens, ich habe eine junge Frau engagiert, die mir Modell sitzen wird. Sie kommt heute Nachmittag.“
„Hast du sie in deine sündige Höhle gelockt?“
„Ja, und sie ist verdammt teuer.“
„Das heißt vermutlich, dass du sie nicht angezogen malen wirst.“
„Sehr scharfsinnig.“
„Sieh nur zu, dass wir hier nicht rausfliegen, Thorolf. Ich würde ungern umziehen.“
„Teurer
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