Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
hinter dem Geld her. Modelle verdienten nicht besonders viel bei solchen Sitzungen. Es würde kaum reichen, um sie gut zu versorgen, und da sie ihren Lebensunterhalt mit ihrem Körper bestritt, musste sie so viel wie möglich zusammenbekommen, solange ihr Marktwert noch hoch war.
„Selbst Herr von Schwind muss einmal gut ausgesehen haben, als er jung war. Ich habe ein Porträt gesehen. Er sah ganz süß aus, verletzlich und mit ganz großen Augen. Jetzt ist er natürlich alt. Aber zu mir ist er immer nett.“
Vermutlich netter als zu seinen Studenten. Doch die machten auch keine Extrapausen mit ihm.
Er umfasste ihr Handgelenk und zog ihre Finger von seinem Gesicht fort.
„Sind Sie ausgeruht? Können wir weitermachen?“ Sie schmollte ein wenig, ging dann aber brav zurück zum Sofa und nahm die gleiche Position ein wie vorher. Ihre Kehle hielt sie den Schrecknissen der Nacht entgegengestreckt.
Nur war es Tag. Die Sonne schien.
Er nahm ein neues Blatt und spitzte erneut den Stift. Diesmal begann er mit dem Gesicht und nicht mit dem Körper. Kein schlechtes Gesicht, vielleicht etwas zu hart geworden durch ein entbehrungsreiches Leben. Unter den blauen Augen hatten sich Fältchen eingegraben, ihr Mund war eine Spur zu klein, ihr Kinn entschlossen. Eine Frau, die wusste, was sie wollte. Extrapausen.
Es gelang ihm, ihre Züge erkennbar darzustellen, doch er schaffte es nicht, dem Bild Leben einzuhauchen. Ihr Gesichtsausdruck war versteinert, wie der einer Wachsfigur, tot. Er starrte die Frau auf der Couch an, die so entspannt dalag und so durch und durch lebendig. Er kämpfte darum diese lockere Ausstrahlung in seiner Skizze einzufangen.
Schon wieder ein neues Blatt. Er begann sich über sich selbst zu ärgern. Das anhaltende Gefühl ihrer Berührung begann sich erst langsam zu verflüchtigen.
„Könnten Sie Ihren Kopf ein wenig zu mir drehen?“
Es klopfte. Was jetzt? Das war hoffentlich nicht der Vermieter, der nachfragte, was das mit dem Damenbesuch auf sich hatte. Er würde schockiert sein, doch er hatte ja gewusst, dass er das Zimmer an einen Künstler vermietet hatte. Somit sollte er sich über Besucher – und Besucherinnen – nicht wundern. In diesem Teil Münchens wohnten nicht wenige Künstler. So mochte auch Lena bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad haben.
Einerlei, er würde ihn fortschicken.
Thorolf trat in den Flur und öffnete vorsichtig die Tür.
Seine Mutter trug ein ausgesprochen stilvolles Arrangement in Grau mit passender Pelerine. Das Seidenkleid war mit dunkelblauen Bändern verziert, ihr Hut einfach, aber elegant und ebenfalls in Grau und Blau gehalten. Zu der kühlen, eleganten Kleidung trug sie ein kühles, elegantes Lächeln.
„Mutter!“
Es klang eher wie ein entnervter Schreckensruf in seinen Ohren, ganz gewiss nicht wie der respektvolle Gruß, der bei einem elterlichen Besuch angebracht gewesen wäre.
Kapitel 14
Catrin saß im Salon und übte Klavier. Sie hatte sich mit der Morgentoilette Zeit gelassen, wenngleich sie es recht ungemütlich fand, sich mit kaltem Wasser waschen zu müssen. Doch ihre Stiefmutter hatte nicht vergessen, welche Maßnahme sie versprochen hatte, um Catrins Gemüt abzukühlen.
Catrin hatte sich so nachhaltig gesäubert, als müsse sie Herz und Seele mit Seife und kaltem Wasser von Berührungen schlangenverbrämter Kelche reinigen, von Sternennächten, nackten Herren und Ungeheuern in ihrem Geist. Die Bilder, die gelegentlich durch ihre Erinnerung geisterten, versuchte sie dadurch zu verjagen, dass sie an etwas Lohnenswerteres dachte. Allerdings hatte sie die Suche danach noch nicht erfolgreich abgeschlossen.
Inzwischen war ihr der Traum unendlich peinlich, und sie versuchte wirklich, nicht daran zu denken. Es hatte auch niemand mehr nach der nächtlichen Störung gefragt, nicht einmal Miss Colpin, die ihr nur eröffnete, dass ihr Klavier in ein anderes Zimmer gebracht worden war, damit die Gäste ihres Vaters auf den Soireen Gelegenheit hatten, es zu spielen.
„Ich dachte, es kommen nur Wissenschaftler, die Vaters Projekte bereden?“, erkundigte sich Catrin.
„Nein, an den Jours fixes besuchen unterschiedliche Herren deinen Vater. Philosophen, Künstler, Musiker. Sogar Richard Wagner hat ihn schon einmal mit seiner Anwesenheit beehrt.“
„Oh! Den möchte ich kennenlernen! Oh, bitte, Miss Colpin! Darf ich? Ich liebe seine Musik so sehr. Sie ist so wundervoll dramatisch.“ Ihr fiel auf, dass sie genau so kindisch klang, wie die
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