Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman
eigentlich ziemlich unwahrscheinlich, dass Sie sie nicht kennen.«
»Ich gehe zur Bar und hole eine Flasche Sekt. Von da habe ich eine bessere Sicht auf sie.«
Erin freute sich, dass Will das für sie tun wollte – die Neugier brachte sie um.
Will bestellte eine Flasche Sekt. Während der Barkeeper den Sektkühler mit Eis füllte, beobachtete Will verstohlen die Frau, die bei Jonathan saß. Die beiden waren in ein Gespräch vertieft, deshalb bemerkten sie ihn nicht. So wie er jetzt stand, sah er die Frau besser, und tatsächlich erschien sie ihm irgendwie vertraut. Aber noch kam er nicht darauf, wer sie war. Er entschied sich für den direkten Weg.
Mit dem Sektkühler im Arm ging er an Jonathans Tisch vorbeiund blieb dann stehen, um guten Abend zu sagen. Erin sah zu, verblüfft darüber, wie entschlossen Will zu Werke ging.
»Guten Abend, Jonathan«, sagte Will.
Jonathan schaute auf. »Will! Ich wusste gar nicht, dass Sie auch hier sind.«
»Ich esse mit Erin«, erwiderte Will und schaute Jonathans Begleiterin an. »Hallo«, sagte er. »Kennen wir uns, Miss …?«
Jonathan drehte sich um und winkte Erin zu.
»Miss Watson«, sagte Carol-Ann, entschlossen, Haltung zu wahren.
Der Name kam Will nicht bekannt vor, die Stimme schien ihm dennoch vertraut.
»Carol-Ann Watson«, ergänzte sie schon etwas sicherer. Ihr Selbstvertrauen wuchs allmählich.
»Das ist Constable Will Spender aus Coober Pedy«, sagte Jonathan. Natürlich wusste er genau, dass Carol-Ann den Constable kannte, ihr Geheimnis war bei ihm jedoch sicher.
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Constable«, sagte Carol-Ann.
Obwohl er mit ihr in Coober Pedy nicht viel zu tun gehabt hatte, war er den Prostituierten auf den Opalfeldern stets mit Verachtung begegnet und hatte sie nie in Ruhe lassen können. Deshalb mochte Carol-Ann ihn nicht, lächelte aber doch freundlich.
»Ich hoffe, das Essen ist gut hier«, sagte Jonathan in dem Bemühen, die Aufmerksamkeit von seinem Gast abzulenken.
»Recht gut, für Alice Springs«, entgegnete Will. »Viel Spaß noch.« Er runzelte die Stirn, als er zu Erin zurückging, und plötzlich machte es klick in seinem Kopf.
»Nun?« Erin hatte Wills Gesichtsausdruck richtig gedeutet, er schien etwas herausgefunden zu haben.
»Sie werden es nicht glauben«, sagte Will. Er schaute noch einmal über die Schulter zurück, und genau in dem Moment sah Carol-Ann in seine Richtung. Schnell drehte er sich wieder zu Erin um. »Ihr Geheimnis ist gelüftet.«
»Was meinen Sie?«, fragte Erin neugierig.
»Jonthan ist mit ›Clementine‹ hier.«
»Clementine!«
»Sie war eine der Prostituierten in Coober Pedy«, erklärte Will. »Jetzt hat sie offenbar einen anderen Namen angenommen. Was macht Jonathan mit einer Frau wie ihr?«
Erin hielt die Luft an. »Sind Sie sicher?«
Sie schaute hinüber zu »Clementine«. Die Frisur war anders, die Kleidung war anders, aber sie hatte irgendetwas Vertrautes in ihren Bewegungen, und jetzt erkannte Erin, dass Will recht hatte. Jonathan saß hier mit der Prostituierten, mit der sie ihn in Coober Pedy gesehen hatte. Sie fasste es einfach nicht.
29
Erin konnte sich nicht vorstellen, was Jonathan sich dabei dachte, diese Frau als eine akzeptable Begleiterin für ein Essen zu wählen. Sie war so verstört, dass sie ihren Fisch kaum anrührte, das Wenige, das sie aß, schmeckte für sie nach nichts. Es hätte genauso gut Pappe sein können.
Will empfand eine heimliche Freude darüber, dass Erin sich so grämte. Er rechnete heimlich damit, es könnte zu seinem Vorteil sein, fand aber bald heraus, dass das nicht der Fall war. Als Erin ihn bat, sie nach Hause zu bringen, statt mit ihm zum Aussichtspunkt zu fahren, war er maßlos enttäuscht. An der Haustür bedankte sie sich höflich bei ihm für das Essen und ging dann hinein, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen.
Es war kurz nach neun, und Marlee war noch wach. Sie spielte mit Cornelius.
»Sie wollte erst ins Bett gehen, wenn du zu Hause bist«, sagte Cornelius zu Erin.
Erin war gerührt, weil das kleine Mädchen sie und das abendliche Gutenachtgeschichtenritual so lieb gewonnen hatte, doch sie war mit den Gedanken ganz woanders, als sie Marlee ins Bett brachte. Schließlich legte auch sie sich schlafen, wälzte sich aber fast die ganze Nacht herum und dachte an Jonathan. Sie verstand nicht, wie ein so wundervoller Mann sich mit einer Prostituierten einlassen konnte. Das ergab einfach keinen Sinn für sie. Erin überlegte, ob sie
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