Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman
würde, habe ich immer noch nichts von Liza gehört.«
»Also wissen Sie gar nicht, ob sie einverstanden wäre, mit Ihnen ein fremdes Kind großzuziehen?«
»Nein. Und ich habe Liza doch versprochen, bei meiner Rückkehr genug Geld mitzubringen, damit wir ohne alle Sorgen unser Eheleben beginnen können. Wenn ich stattdessen mit einem kleinen Mädchen zurückkomme … Ich weiß nicht, was für eine Reaktion mich erwartet. Ich hatte gehofft, sie hätte sich in einem Brief schon irgendwie dazu geäußert.« Sie schwiegen eine Weile, dann sah Jonathan Erin an. »Würden Sie mir einen Rat aus weiblicher Sicht geben, Erin? Ich wäre sehr dankbar dafür. Ich werde noch ganz verrückt, weil ich mich immer wieder frage, was Liza denken könnte.«
»Ich kann es versuchen.« Erin machte es wütend, dass Liza Jonathan so leiden ließ. »Aber bedenken Sie bitte, dass ich Liza nicht kenne und auch nicht weiß, was für ein Typ Frau sie ist.«
»Das ist mir schon klar«, erwiderte Jonathan. »Trotzdem würde ich gern Ihre Meinung hören.«
»Also gut. Zunächst einmal Folgendes: Ganz bestimmt liebt Liza Sie, sonst hätte sie Ihren Heiratsantrag nicht angenommen. Und in der Liebe stellt man keine Bedingungen.« Erin wusste, dass es jeder Frau leichtfallen würde, Jonathan zu lieben. Er hatte zahlreiche wunderbare Eigenschaften. »Ich weiß, Sie wollten genug Geld für einen sorgenlosen Start in die Ehe mit nach Hause bringen, aber ob man nun arm ist wie eine Kirchenmaus oder wohlhabend, sollte in einer Beziehung keine Rolle spielen. Sie lieben Marlee, und Liza wird sie auch lieben lernen, wenn Sie ihr nur die Chance dazu geben. Marlee wird Ihrer beider Leben bereichern, denn sie ist ein süßes kleines Mädchen, ein wahres Geschenk. Ich denke, Sie und Liza und Marlee werden die glücklichsten Menschen auf der Welt sein, eine wunderbare kleine Familie.«
Jonathan seufzte. »Danke, Erin«, sagte er. Wie gefühlvoll sie das gesagt hatte.
Jonathan nahm an, sie dachte an ihre gescheiterte Verlobung, er konnte nicht wissen, dass Erin Liza beneidete.
»Es scheint, dass Bojan gestern Nacht nicht hier war. Ich habe noch nicht gründlich nachgeschaut, aber soweit ich sehe, ist nichts in Unordnung. Allerdings glaube ich doch, dass er es noch einmal versuchen wird«, sagte Erin.
»Und ihre Verwandten werden nach Marlee suchen«, meinte Jonathan. »Man sollte sie wissen lassen, dass sie hier ist. Ich werde sie wieder zu ihnen zurückbringen, dieses Mal bleibe ich jedoch bei ihr, bis ich mich davon überzeugt habe, dass es ihr gut geht. Wir machen uns auf den Weg, sobald sie aufgewacht ist.« Er nahm sich vor, Marlee auf den Schultern zu tragen. »Ich schlage vor, Sie und Ihr Onkel ziehen in ein Hotel, Erin. Die Todd Tavern vermietet doch auch Zimmer. Ich wäre weniger besorgt, wenn ich wüsste, dass Sie nicht in Gefahr sind.«
Erin stimmte zu, etwas ganz anderes beschäftigte sie aber nun. »Wie werden Sie sich den Aborigines verständlich machen?«
»Jirra Matari kann mich sicher nicht begleiten. Ich schaffe es schon irgendwie allein.«
Erin fuhr in die Stadt, um Vorräte für Jonathan und Marlee einzukaufen. Sie ertrug den Gedanken nicht, dass sie einheimische Tiere essen würde, zubereitet in glühenden Kohlen, und Früchte, die in der Wildnis wuchsen. Ganz bewusst entschied sie sich für den Supermarkt, in dem Carol-Ann arbeitete, denn da war noch etwas, das sie erledigen wollte.
Carol-Ann bediente gerade einen Kunden, als Erin hereinkam, also suchte sie zuerst zusammen, was sie benötigte. Als sie zur Kasse kam, war Carol-Ann frei.
»Bitte, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen«, sagte Erin verzagt. »Ich war sehr grob zu Ihnen. Mein Verhalten ist eigentlich unentschuldbar, und es tut mir sehr leid. Sie haben es nicht verdient, dass jemand so mit Ihnen spricht. Bitte nehmen Sie meine Entschuldigung an.«
Erins Worte kamen völlig unerwartet für Carol-Ann. »Danke, das werde ich«, sagte sie. »Aber woher kommt auf einmal dieser Sinneswandel?«
Erin wollte ihr nicht erzählen, dass Jonathan ihr Carol-Anns Geschichte anvertraut hatte. »Ich habe nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass niemand das Recht hat, über jemand anderen zu urteilen«, sagte sie. »Das Leben ist nicht immer gerecht, wir alle tun so gut wir können, was wir tun müssen. In jeder Familie gibt es etwas, das verkraftet werden muss. Manchmal ist es der Verlust eines geliebten Menschen«, Erin dachte an ihre Mutter, »manchmal ist es die
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