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Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman

Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman

Titel: Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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in die Pfanne zurück, die er wieder aufs Feuer setzte. Die ganze Zeit fluchte er vor sich hin. Nach einer Weile kauerte er sich auf der Erde zusammen und schlief gleich darauf ein. Bald fing das Fleisch an zu verkohlen.
    Jonathan beschloss, dass es an der Zeit war einzugreifen. Rasch sprang er auf, ging zu Andros Zeltplatz und nahm die Pfanne vom Feuer. Er bezweifelte, dass das Fleisch noch essbar war, doch da sonst nichts da war, was man dem hungrigen Kind hätte geben können, versuchte Jonathan, es zu retten. Er spülte sowohl Fleisch als auch Pfanne mit kochendem Wasser ab und entfernte die verkohlte Kruste. Dann zog er den schnarchenden Andro vom Feuer weg, was keine leichte Aufgabe war, denn Marlees Vater wog fast doppelt so viel wie die anderen Männer im Camp. Er protestierte brummend, schlief jedoch weiter.
    Jonathan sah ins Zelt. »Marlee!«, rief er sanft. »Marlee, komm heraus. Du musst etwas essen.«
    Die Kleine hockte auf ihrem Lager, die Beine angezogen. Im Arm hielt sie einen kleinen braunen Teddy, den ihre Mutter ihr aus Lumpen genäht hatte. Sie rührte sich nicht. Tränen liefen ihr über die Wangen. Jonathan ging zu seinem Zelt zurück und schnitt zwei Scheiben von dem Laib Brot, den er am Morgen gekauft hatte. Wieder bei Andro, zerteilte er das Fleisch und legte ein Stück auf das Brot. Dann setzte er sich an die Zeltöffnung.
    »Schau, Marlee, ich hab dir ein Sandwich gemacht. Du bistdoch bestimmt ganz ausgehungert. Ich weiß, wenn man traurig ist, hat man nicht viel Appetit, aber ein bisschen muss man essen.«
    Marlee nahm die Hände vom Gesicht und sah Jonathan mit großen Augen an.
    »Alles wird gut«, versprach er der Kleinen.
    Zögerlich griff sie nach dem Sandwich. Dann ließ sie erneut den Kopf sinken, und noch mehr Tränen rannen ihr die samtigen Wangen hinunter. Es war herzzerreißend anzusehen.
    »Meine Mommy kommt nicht mehr wieder, oder?«, fragte sie leise schluchzend.
    »Nein«, antwortete Jonathan. »Aber sie schaut dir vom Himmel aus zu.« Er kam sich wie ein Betrüger vor, als er ihr das versprach. Wer wusste schon, was nach dem Tod auf die Menschen wartete?
    Marlee hielt den Kopf schräg und sah ihn wieder an. »Himmel? Was ist das?«, fragte sie neugierig.
    Zu spät wurde Jonathan klar, dass so etwas wie der Himmel in der Kultur der Aborigines nicht existierte und er womöglich einen Fehler gemacht hatte. Er hatte keine Ahnung, ob Andro religiös war, vom Himmel schien er seiner Tochter jedoch nichts erzählt zu haben. Wie kann ich sie nur trösten?, dachte er. Er war sieben Jahre alt gewesen, als seine kleine Schwester an Hirnhautentzündung gestorben war, ungefähr so alt wie Marlee jetzt war. Als seine Mutter ihm erzählt hatte, Julia sei im Himmel bei den Engeln, hatte ihn das beruhigt und seine Traurigkeit gemildert. Wenn er dasselbe bei Marlee bewirken konnte, dürfte das doch wohl nicht so verkehrt sein. Aber wie erklärte man einem Kind den Himmel?
    »Wenn wir sterben, wird unser Leichnam in der Erde begraben, ein Teil von uns, die Seele, geht jedoch in den Himmel. Das ist ein wunderschöner Ort, weit über den Wolken, viel prächtiger, als du dir das vorstellen kannst. Alle sind glücklich da. Ich habe eine kleine Schwester im Himmel. Sie ist vor vielen Jahren gestorben, und ich vermisse sie immer noch, aber wenn ich eines Tages auch sterbe, werden wir wieder zusammen sein.«
    Marlee kniff die Augen zusammen. »Werde ich eines Tages wieder mit meiner Mommy zusammen sein?«
    »Ja, ganz bestimmt.«
    Jonathan sah, dass Marlee sich entspannte. Die Vorstellung, dass sie ihre Mutter im Himmel wiedersehen würde, war offenbar ein Trost für sie.
    »Regnet es im Himmel? Mommy mag Regen.«
    Ihre kindliche Unschuld entlockte Jonathan ein Lächeln. »Ich glaube, das Wetter im Himmel ist immer ideal. Ob es regnet, weiß ich nicht. Wenn es regnet, dann wird es ein weicher Regen sein. Es ist jedenfalls nie zu heiß oder zu kalt.«
    »Wird Mommy im Himmel nach Essen jagen?«
    »Nein, Seelen brauchen keine Nahrung. Keiner ist krank im Himmel, und es gibt kein Leid. Du kannst deine Mommy nicht sehen, aber sie ist immer bei dir. Sie ist wie ein Engel.«
    »Also ist sie gar nicht ganz weg?«, fragte Marlee und riss die Augen weit auf.
    »Nein, nicht ganz. Sie wacht über dich, und sie liebt dich, wie sie dich immer geliebt hat.«
    »Vielleicht solltest du meinem Dad sagen, dass meine Mommy immer noch bei uns ist«, sagte Marlee und schaute an Jonathan vorbei zu ihrem Vater, der wie ein

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