Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman
sollte.
»Sollte sie nicht in die Schule gehen? Ich habe gesehen, es gibt eine in der Stadt.« Dort gab es nur einige wenige Schüler, aber das war eher von Vorteil.
»Meine Frau hat sie unterrichtet, sie wollte ihr alles beibringen, was sie wissen muss«, erklärte Andro. »Von Schule habe ich keine Ahnung. Und ich traue keiner Sache, von der ich nichts weiß.«
Jonathan war sich im Klaren darüber, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, ein Loblied auf die Schule zu singen. Aber ihm kam eine Idee. »Ich hätte da einen Vorschlag zu machen«, sagte er.
»Und der wäre?«, fragte Andro argwöhnisch.
»Ich könnte ein paar Stunden am Tag auf Marlee aufpassen, während Sie in Ihrer Mine sind.«
Überrascht blinzelte Andro. »Nein«, sagte er, ohne zu zögern.
»Sie kann doch nicht allein bleiben, und Sie müssen arbeiten«, erklärte Jonathan. Warum war Andro nur so stur?
»Das ist mein Problem, ich komme schon damit zurecht«, erwiderte Andro.
»Haben Sie Familie irgendwo in Australien, Verwandte, die sich um Marlee kümmern können?«
»Nein, ich habe niemanden in Australien. Und es kommt nicht infrage, dass ich sie nach Kroatien schicke, zu Verwandten, die sie nicht kennt, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen habe.«
»Dann sitzen Sie in der Klemme. Ich weiß, Sie kennen mich noch nicht richtig, aber ich würde wirklich gern helfen. Wir könnten doch mal einen Versuch wagen. Wir probieren es ein paar Tage und sehen, wie es klappt.«
Andro kniff die Augen zusammen. »Und was ist mit Ihrer Mine?«
»Wenn Sie bis Mittag arbeiten, arbeite ich am Nachmittag.«
Andro zögerte. Dieser Vorschlag war sehr großzügig. Es steckte sicher irgendetwas anderes dahinter.
»Wir können es gleich heute Vormittag versuchen, wenn Sie wollen«, schlug Jonathan vor.
»Heute?«
»Marlee kann einen Spaziergang mit mir machen, und Sie gehen in Ihre Mine.«
»Ihnen ist klar, dass ich Sie kaltmache, wenn meiner Tochter was passiert?« Andro spürte, dass er Jonathan vertrauen konnte, aber der Engländer sollte trotzdem wissen, was für ihn auf dem Spiel stand.
Jonathan wurde blass, ließ sich jedoch nicht verunsichern. »Das ist mir klar. Ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich gut auf sie aufpassen werde.«
Andro antwortete nicht sofort.
Jonathan ahnte, dass er sich Gedanken darüber machte, wie seine Tochter es aufnehmen würde, dass ein Fremder sie betreuen sollte. Bisher war sie nur mit ihren Eltern zusammen gewesen. Er sah die Kleine an.
»Was hältst du von dem Vorschlag, dass wir beide den Vormittag gemeinsam verbringen? Du kannst mir helfen, Feuerholz zu sammeln, Marlee. Würdest du das gern tun?«
Begeistert nickte das Mädchen, es lächelte sogar – zum ersten Mal seit Tagen.
Andro fühlte, wie ein riesiges Gewicht von ihm abfiel. Er brauchte unbedingt wieder Normalität in seinem Leben. Obwohl er immer nur Bergarbeiter gewesen war – in Kroatien hatte er in Quarzminen gearbeitet –, hatte er schon überlegt, ob er die Opalfelder wegen Marlee verlassen sollte. Doch etwas anderes als schürfen konnte er nicht, und er war längst nicht mehr in der Blüte seiner Jahre. Also beschloss er, Jonathans Vorschlag zuzustimmen.
»Also gut«, sagte er. »Ich werde Ihnen ein paar Tipps geben, wie Sie bei Ihrer Arbeit vorgehen können, um fündig zu werden, und Sie passen auf, dass meiner Tochter nichts passiert. Wenn ihr was zustößt, sind Sie ein toter Mann.«
»Ich bin mir der Verantwortung bewusst. Und ich gebe Ihnen mein Wort, dass sie bei mir in Sicherheit ist«, versprach Jonathan.
Während der nächsten Tage verlief ihr Leben so, wie sie es verabredet hatten. Andro lud Jonathan morgens sogar zum Frühstück ein, ehe er zum Arbeiten in seine Mine ging. Das Frühstück gehörte eigentlich nicht zu ihrer Abmachung, er merkte jedoch, dass Jonathans Gesellschaft ihm ein wenig die Einsamkeit nahm. Andro hatte seinen Frieden mit dem Arrangement gemacht. Wenn Jonathan in der Mine arbeitete, kam Andro immer mal wieder vorbei und begutachtete dessen Arbeitsweise. Abends gab er ihm dann den einen oder anderen Ratschlag, er lieh ihm sogar Werkzeug.
Jonathan stellte fest, dass Marlee ein kluges Kind war, das ständig Anregungen brauchte. Er fing an, mit einem Stöckchen das Alphabet in den Sand zu zeichnen, nach kurzer Zeit schon kannte sie die Buchstaben. Jonathan schrieb fortan kurze Wörter und malte die entsprechenden Bilder dazu. Marlee lachte über seineZeichnungen, das Lernen machte ihr großen Spaß, und
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