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Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman

Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman

Titel: Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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zufolge sollte er gefährlich sein.
    »Ja, genau der«, erwiderte Andro, erneut feindselig, »Bojan Ratko. Was wollen Sie von mir?«
    »Was ich will?« Jonathan schüttelte den Kopf. »Ich will gar nichts«, sagte er verwirrt.
    »Wollen Sie kein Geld?«
    »Ganz bestimmt nicht«, entgegnete Jonathan empört.
    »Ich war nie freundlich zu Ihnen, also weshalb sollten Sie etwas für mich tun und kein Geld dafür verlangen?«
    »Wenn ich sehe, dass jemand leidet und Hilfe braucht, dann helfe ich eben. Das würde ich für jeden tun, ohne Geld zu nehmen.«
    »Einem wie Ihnen bin ich noch nie begegnet«, sagte Andro. Er schien immer noch zu glauben, dass Jonathan etwas von ihm wollte. »Seien Sie ehrlich, Sie wollen Hilfe bei Ihrer Mine, oder?«, fragte er so aggressiv, dass Marlee sich duckte.
    »Nein«, erklärte Jonathan ruhig. Er hoffte, wenn er ruhig blieb, würde sich auch Andro beruhigen. »Ich brauche einen Rat, weil ich nicht so recht weiß, wie ich vorgehen soll bei meiner Suche, ich bin mir nicht mal sicher, ob ich das richtige Werkzeug habe. Doch keiner will mich unterweisen, also werde ich allein klarkommen müssen.«
    Andro schwieg eine Weile. »Ratschläge kann ich Ihnen geben«, sagte er vorsichtig.
    »Dafür wäre ich dankbar«, erwiderte Jonathan erfreut. »Aber auch wenn Sie mir keinen Rat geben, werde ich Ihnen helfen, wenn ich kann.«
    Andro sah aus, als hätte er auf einmal verstanden. »Sie sind einer, der gute Taten vollbringt, ein Kirchgänger. Sie sind Christ«, rief er.
    »Ich denke schon«, antwortete Jonathan. »Ich bin als Katholik erzogen worden, ich war allerdings schon ewig nicht mehr in der Kirche.«
    Jetzt war Andro vollständig verwirrt. »Ich habe gehört, was Sie meiner Tochter über den Himmel erzählt haben.«
    »Ist es in Ordnung, dass ich ihr gesagt habe, ihre Mutter ist im Himmel? Ich habe nicht gepredigt, ich dachte nur, die Vorstellung tröstet sie vielleicht.«
    »Ich glaube, es hat ihr geholfen.«
    Wieder starrte Andro Jonathan mit seinen dunklen Augen an. Die vielen Fältchen zeugten von einem harten Leben. Er arbeitete meist draußen, wo er ständig der Witterung ausgesetzt war. Mit seinem dichten Haar, das dringend geschnitten werden musste, wirkte er wild und ungezähmt. Jonathan sah, weshalb die anderen Minenarbeiter auf dem Feld Angst vor Andro hatten, vor ihm und vor Bojan Ratko. Doch er hatte nun eine andere Seite an dem Kroaten kennengelernt.
    Andro legte ein Spiegelei auf ein Stück Brot und reichte es Jonathan. »Hier!«, sagte er. »Essen Sie das. Sie haben sicher Hunger.«
    Marlee rutschte zaghaft auf den Platz neben Jonathan. Andro gab auch ihr ein Stück Brot mit Ei, dann nahm er sich seine Portion. Seine Tochter hatte Angst vor ihm, so große Angst, dass sie sich lieber neben einen Fremden setzte. Das brachte ihn zum Nachdenken. Etwas musste sich ändern.
    »Danke«, sagte Jonathan anerkennend. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen. »Ich hab schon seit Wochen kein Ei mehr gegessen.«
    Marlee schaute mit ihren riesigen braunen, fragenden Augen zu ihm auf. Als sie sah, dass Jonathan genüsslich zu essen begann, folgte sie seinem Beispiel.
    Andro frühstückte schweigend. Es kränkte ihn, dass Marlee ihn nicht auch so ansah und dass sie offenbar nur deshalb aß, weil Jonathan das tat. »Meine Tochter mag Sie wohl«, brummelte er.
    Jonathan musterte den Kroaten. Ob er verärgert darüber war? »Sie ist ein liebes Mädchen«, sagte er mit vollem Mund. Noch nie hatte ein Ei auf Brot ihm so gut geschmeckt.
    »Es ist nicht richtig, dass ein kleines Mädchen ohne Mutter aufwächst«, erklärte Andro. »Ein Vater kann die Mutter nicht ersetzen.«
    Jonathan suchte nach den richtigen Worten. Genau das hatte er auch gedacht – Andro würde sich unzureichend vorkommen als alleinerziehender Vater. »Das ist wirklich traurig«, sagte er. »Das Schicksal hat es nicht gut mit Ihrer kleinen Familie gemeint. Sie müssen das Beste daraus machen, obwohl ich natürlich auch die Probleme sehe, mit denen Sie zu kämpfen haben. Die Opalfelder sind eine Gefahrenquelle für ein kleines Mädchen, das allein ist, wenn sein Vater arbeitet.«
    Es gab Hunderte von verlassenen Minen, Schächte, die sehr tief waren. Wenn Marlee in einen dieser Schächte fiele, würde man sie nie wiederfinden. Nicht wenige Menschen waren so ums Leben gekommen.
    »Das stimmt«, erwiderte Andro. Diese Sorge ließ ihn schon seit Geddas Tod nicht mehr zur Ruhe kommen. Er hatte keine Ahnung, was er tun

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