Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman
nicht.«
»Schlangeneier sind auch gut«, behauptete Marlee. »Aber zurzeit legen sie keine Eier.«
Jonathan sah, dass sie aufmerksam auf den Boden schaute, und war froh, dass das kleine Mädchen den Ausdruck des Ekels auf seinem Gesicht nicht bemerkte.
»Schlangen sind gefährlich, Marlee«, erklärte er und hoffte, sie würde niemals versuchen, einer Schlange ihre Eier wegzunehmen.
»Für mich nicht«, antwortete sie. »Meine Mommy hat mir beigebracht, wie man mit ihnen umgeht.«
Jonathan seufzte. Marlee schien unbelehrbar, wenn es um die Gefahren im Outback ging. Schweigend setzten sie ihren Wegzum Camp fort. Sie hatten seinen Schlafplatz gerade erreicht, als eine Stimme Jonathan aus seinen Gedanken riss.
»Guten Morgen«, sagte eine junge Frau.
Irritiert sah er sie an. Sie hatte zu ihm gesprochen, aber nun glitt ihr Blick hinüber zu Marlee. Jonathan erkannte die Frau sofort. Sie war eine der fünf Prostituierten, die in der Nähe des Camps bei den Opalfeldern lebten, die mit den traurigsten Augen.
»Guten Morgen«, erwiderte er. Er hatte keine Ahnung, weshalb sie bei ihnen stehen geblieben war.
»Hallo«, sagte die Frau nun zu Marlee und beugte sich zu ihr hinunter. »Wie heißt du?« Sie lächelte freundlich.
Jonathan fiel auf, dass sie ihr Kleid sorgsam über die Knie zog, als sie sich bückte, was ihn neugierig machte.
»Marlee«, antwortete das Kind leise und drückte seinen Teddy fest an sich.
»Das ist ein sehr hübscher Name. Wie alt bist du, Marlee?«
»Bin ich sechs?«, fragte Marlee Jonathan.
»Wie dein Vater sagt, bist du vor einem Monat sechs geworden«, erwiderte er. Er sah die Frau an. »Ich glaube, sie ist groß für ihr Alter, aber ihr Vater ist ja auch sehr groß.«
»Nein, sie hat genau die richtige Größe für ihr Alter«, sagte die Frau immer noch lächelnd.
»Und wie heißt du?«, fragte Marlee. Sie war ganz fasziniert von dem roten Lippenstift, den die Frau aufgelegt hatte, und dem breitkrempigen Hut mit dem roten Band, den sie trug.
»Clementine.«
»Das ist ja ein ulkiger Name«, sagte Marlee und rümpfte die Nase.
»Marlee!«
Jonathan machte die Bemerkung der Kleinen verlegen, aber zu seiner großen Überraschung lachte Clementine. Auch wenn sie lachte, meinte Jonathan Traurigkeit in ihren Augen zu sehen.
»Ich glaube, der Name ist wirklich ulkig«, sagte sie.
»Ich mag das Band an deinem Hut«, erklärte Marlee. »So etwas Hübsches habe ich noch nie gesehen.«
»Tatsächlich?« Clementine nahm ihren Hut ab, und eine Fülle braunen Haars fiel ihr auf die Schultern. Sie knüpfte das Band auf, legte es dem Teddy um den Hals und band es zu einer Schleife. »So«, sagte sie. »Sieht dein Teddy nicht hübsch aus?«
Marlee strahlte. »Ja«, antwortete sie und verzog den Mund zu einem breiten Lächeln. »Danke.«
Sie so glücklich zu sehen wärmte Jonathans Herz.
»Wie heißt dein Teddy denn?«, fragte Clementine.
»Gula«, antwortete Marlee und drückte den kleinen Bären voller Besitzerstolz wieder an sich.
»Ah«, erwiderte Clementine. »Gula.« Sie sah Jonathan an. »Sie hat ihren Teddy richtig gern, was?«
Dem Bär fehlte ein Auge, ein Ohr war eingerissen. Seine Nähte sahen aus, als seien sie viele Male erneuert worden.
»Sie lässt Gula kaum aus den Augen«, sagte er. »Auch wenn er so aussieht, als hätte er schon längst die Reise in den Teddybärenhimmel antreten sollen.«
Marlee umklammerte den Teddy noch fester, ihre Augen wurden ganz groß.
»Der verlässt dich schon nicht«, versicherte ihr Jonathan. »Vor allem jetzt nicht, wo er so ein wunderschönes Band um den Hals hat.« Er sah Clementine an. »Es war sehr nett von Ihnen, dass Sie ihr das Band geschenkt haben«, sagte er. »Sie hatte es in letzter Zeit ziemlich schwer, deshalb bedeutet es ihr so viel.«
»Kuscheltiere sind wichtig für Kinder«, sagte Clementine wehmütig, dabei warf sie Marlee einen warmherzigen Blick zu. »Sie geben ihnen ein Gefühl von Sicherheit, und die brauchen sie so sehr. Sie haben ja sonst über nicht vieles in ihrem Leben die Kontrolle.«
Jonathan hätte am liebsten gefragt, wie Clementine zu dieser Erkenntnis gekommen war, aber da war etwas Unnahbares an der jungen Frau.
»Was haben Sie da in den Sand gezeichnet?«, fragte Clementine neugierig.
»Es soll ein Haus sein, mit einem Hund davor. Ich unterrichte Marlee ein wenig«, antwortete Jonathan. »Meine Zeichenkünste sind leider furchtbar. Es sieht eher aus wie eine wacklige Kiste mit einer Art Eidechse
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