Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman
daneben.«
»Lassen Sie mich mal versuchen.«
Clementine nahm einen Stock, und in kaum einer Minute hatte sie ein richtig schönes Haus mit Fenstern und einer Eingangstür gemalt, dazu noch einen Kamin, aus dem Rauch aufstieg. Ihr Hund hatte spitze Ohren und einen langen Schwanz, und er sah aus wie ein richtiger Hund.
»Das ist unglaublich!« Jonathan bewunderte das kleine Kunstwerk. »Sie sind ja begabt.«
Schüchtern lachte Clementine. »Na, das weiß ich nicht so recht«, erwiderte sie. »Ich habe bloß ein bisschen Übung im Zeichnen.« Auf einmal veränderte sich ihr Gesichtsausdruck, als wäre ihr eine traurige Erinnerung durch den Sinn gegangen. »Ich gehe dann mal lieber«, sagte sie, wandte sich um und lief in Richtung Stadt davon.
Wann immer Clementine im Laufe der nächsten Zeit vorbeikam, blieb sie stehen und sagte Hallo. Ganz offensichtlich fühlte sie sich zu Marlee hingezogen. Jonathan schloss daraus, dass sie Kinder einfach gern mochte. Er bedauerte, dass sie die Gelegenheit verpasst hatte, eine eigene Familie zu gründen, ein normales Leben mit Ehemann, Kindern und einem Zuhause zu haben. Marlee freute sich über die Besuche, und Jonathan ging es genauso. Manchmal zeichneten sie gemeinsam für Marlee, dann lachte Clementine über Jonathans Bemühungen und zeigte ihm, wie er es besser machen konnte. Clementine schien sich in seiner Gesellschaft immer wohler zu fühlen.
Eines Tages, als sie sich einmal wieder auf der Hauptstraße begegneten, sah Jonathan zufällig Erin aus dem Laden kommen. Er hob die Hand und winkte.
Erin wollte die Geste erwidern, ließ ihre Hand jedoch sinken, als sie Clementine sah. Sie hatte die Prostituierten schon in der Stadt gesehen, hätte aber nie erwartet, Jonathan mit einer dieser Frauen zu sehen, zumal er in Begleitung von Marlee war. Sie senkte sichtlich schockiert den Kopf, drehte sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon, um nur nicht mit Jonathan zusammenzutreffen.
Verwirrt schaute Jonathan ihr hinterher.
Clementine wusste sofort, was in Jonathan vorging. »Kennen Sie die Dame?«, fragte sie, seinetwegen peinlich berührt.
»Sie ist mit einem der Edelsteinhändler in der Stadt«, antwortete Jonathan und versuchte, eine Ausrede für Erins Benehmen zu finden. »Ich glaube, sie hat uns nicht gesehen«, fügte er hinzu.
»Das glaube ich nicht«, sagte Clementine, die an die Reaktionen ehrbarer Frauen gewöhnt war. »Mit mir gesehen zu werden hat Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet. Das tut mir leid.« Sie senkte den Kopf. »Ich werde gehen.«
»Warten Sie, Clementine. Es ist mir nicht unangenehm, mit Ihnen gesehen zu werden«, protestierte Jonathan. Erst in diesem Moment kam ihm in den Sinn, wie demütigend es für Clementine gewesen sein musste, dass Erin ihretwegen so abweisend reagiert hatte, und er schämte sich für sie.
»Lassen Sie nur, ich gehe allein weiter.«
Den meisten Minenarbeitern machte es nichts aus, auf den Opalfeldern mit den Prostituierten gesehen zu werden, denn entweder hatten sie keine Frau, oder ihre Familie lebte in einem anderen Bundesstaat oder in einem anderen Land. Nachts benutzten sie die Frauen, dann schickten sie sie weg, und in der Stadt taten sie meist so, als würden sie sie nicht kennen. Inzwischen hatte Clementine begriffen, dass Jonathan anders war. Er behandelte sie voller Respekt und sah, dass sie eine verletzliche Frau war wie jede andere auch, daran war sie nicht gewöhnt. Ihre Dienste wollte er auch nie in Anspruch nehmen. Anfangs dachte sie, er wäre einfach nur schüchtern und würde irgendwann schon vorschlagen, dasssie einmal eine Nacht miteinander verbrachten. Aber dazu war es bisher nie gekommen. Clementine vertraute ihm mehr und mehr.
»Nein, wir gehen zusammen weiter«, beharrte Jonathan. »Es ist mir nicht peinlich, für Peinlichkeit gibt es auch keinen Grund.«
Clementine war verwirrt. »Wenn man Sie mit mir sieht, verderben Sie sich Ihre Chancen bei jeder ehrbaren Frau, und das will ich nicht, denn Sie sind immer nett zu mir gewesen.«
»Wieso sollte ich auch nicht nett zu Ihnen sein? Wir kennen uns ja noch nicht lange, aber wir sind inzwischen doch Freunde, oder?«
Clementine kamen die Tränen. »Ich kann nicht Ihre Freundin sein«, sagte sie.
»Warum nicht?«
»Weil ich …« Clementine senkte den Kopf. Sie war sicher, Jonathan wusste von ihrem Beruf. So naiv konnte er nicht sein. »Weil ich mich Männern anbiete, für Geld.« Sie wurde rot.
»Was Sie machen, um Ihr Überleben zu
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