Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman
denen das Zelt befestigt war, hob die Zeltplane an und kroch hinein.
»Marlee«, rief er und tastete sich durch die Dunkelheit. »Ich bin es, Jonathan.« Er geriet in Panik, als er nur die Decke auf ihrem Feldbett fühlte.
In diesem Augenblick reckte ein Minenarbeiter den Kopf durch den Zelteingang.
»Raus hier, sofort«, brüllte Jonathan wütend.
»He, Kumpel, wir teilen die Beute, wie wär’s?«, schlug der Mann vor.
»Hier gibt es keine Beute, und jetzt raus«, brüllte Jonathan wieder und drängte den Mann zurück.
War der Minenarbeiter tatsächlich zum Plündern gekommen? Jonathan wusste, dass Andro seine Opale gut versteckt hatte. Nicht einmal er hatte eine Ahnung, wo, doch die Vorstellung, dass jemand auf der Suche nach den Steinen das Zelt auf den Kopf stellte, während Marlee hier lag, entsetzte ihn.
»Marlee«, rief Jonathan noch einmal ängstlich. »Wo bist du?« Wie aus weiter Ferne hörte er ein Wimmern von dort, wo Andros Feldbett stand. Und tatsächlich lag Marlee zusammengerollt in ihrem Schlafsack darauf und weinte.
»Komm her, Marlee«, sagte Jonathan und nahm sie in seine Arme. »Es ist alles gut.«
»Jono«, schluchzte sie und klammerte sich an ihn. Jono war der Kosename, den sie ihm gegeben hatte. Nur Marlee nannte ihn so.
»Ist ja gut.« Jonathan umarmte die Kleine fest. Er spürte, wie ihr schmächtiger Körper zitterte.
»Ich will meinen Daddy«, jammerte Marlee.
»Ich weiß.«
Jonathan lugte durch den Eingang hinaus. Im schwachen Lichtschein der Glut sah er, dass Andro und Bojan noch immer erbittert kämpften. Blut lief ihnen über die Gesichter. Die Mengespornte sie an, forderte sie auf, mit ihren Gürteln aufeinander einzupeitschen. Auf keinen Fall wollte Jonathan, dass Marlee das sah oder hörte. Er wusste nicht, was er tun sollte, aber etwas musste getan werden.
»Bleib hier, Marlee. Hier bist du sicher«, sagte er.
Das kleine Mädchen wollte ihn nicht gehen lassen. »Ich hab Angst«, schluchzte es.
»Ich bleibe in der Nähe, und ich bleibe nicht lange weg«, versprach Jonathan. »Ich hole deinen Daddy.«
Jonathan verließ das Zelt und zog die Klappe vor den Eingang. Um das Lagerfeuer herum war ein einziges Chaos. Männer schoben und drängten, sie genossen das Kampfspektakel zwischen den zwei Feinden, die so viel stärker als sie selbst waren. Andros Habseligkeiten – Töpfe, Pfannen, Hocker, Kochgeschirr – lagen überall verstreut.
Als Jonathan noch einmal einen kurzen Blick auf Andro und Bojan erhaschte, sah er, dass die beiden Männer am Ende ihrer Kräfte waren. Das war die Gelegenheit, sie auseinanderzubringen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass ihm das gelingen würde, war dennoch gering. Einer der Minenarbeiter mischte sich ein und wurde mit einem einzigen Hieb niedergestreckt.
Jonathan drängte sich vorsichtig weiter nach vorn. Die beiden Kämpfenden achteten nicht mehr darauf, wohin sie traten, was bei den offenen Minenschächten ringsum sehr gefährlich war. Wenn Bojan etwas passiert, wird man Andro verhaften, dachte Jonathan. Und was soll dann mit Marlee geschehen? Er wusste, Andro konnte nicht klar denken, dazu war er zu betrunken.
Jonathan wagte sich so nahe wie möglich an die beiden Kampfhähne heran und sah jetzt, wie Bojan Andro an seinem zerrissenen, blutbespritzten Hemd packte. Mit Schwung schwenkte er herum und versuchte, Andro zu Boden zu werfen. Doch Andro stand fest mit beiden Füßen auf der Erde. Einen Mann, der gut zweihundertfünzig Pfund wog, aus dem Gleichgewicht zu bringen, war nicht so leicht. Das Hemd gab nach und zerriss ganz.
»Hört auf!«, brüllte Jonathan.
Die beiden Männer umkreisten den Haufen tauben Gesteins neben der Mine und waren fast aus seinem Blickfeld verschwunden. Jonathan wusste, dass auf der anderen Seite der Schacht war. Er sah die Zuschauer flehentlich an.
»Wir müssen sie aufhalten«, rief er. »Bitte, helft mir, sie aufzuhalten.«
»Lass sie doch«, schrie jemand zurück. »Ich habe einen Schilling auf Bojan gesetzt.«
Jonathan wusste, er war der Einzige, der den Versuch wagen würde, die beiden auseinanderzubringen, aber er musste es tun, wegen Marlee. Er nahm ein Holzscheit vom Lagerfeuer, das an der Spitze rot glühend war. Wie eine Waffe schwenkte er es vor Bojan und Andro hin und her und drängte sie damit zurück, doch einer der Männer schlug ihm das Holzscheit aus der Hand. In dem Moment sah er, wie Bojan Andro ein Bein stellte. Diesmal traf der Angriff Andro unerwartet. Er verlor das
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