Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman
Gleichgewicht und ging zu Boden. Die Schaulustigen drängten nach vorn, und Jonathan verlor Andro aus den Augen. Er sah nur Bojans Kopf.
Verzweifelt drängte er sich erneut zwischen die Minenarbeiter, und irgendwie gelang es ihm, die Wand der Schaulustigen zu durchbrechen. Plötzlich sah er sich Bojan gegenüber.
»Genug jetzt! Hör auf mit der Streiterei«, brüllte er. »Denk doch an Marlee und an das, was du ihr damit antust.«
Keuchend holte Bojan Luft, sein Gesicht war besudelt von Blut. Er schien Jonathan gar nicht zu hören.
Jonathan fragte sich, ob Bojan wohl auch ihn angreifen würde, wenn er sich jetzt um Andro kümmerte. Dann nahm er wahr, dass die Schaulustigen ganz still geworden waren, und er folgte ihrem Blick. Es dauerte eine ganze Weile, ehe ihm bewusst wurde, was er da sah. Anstelle von Andro war da nur die gähnende Öffnung ihres Minenschachts.
16
Jonathan erstarrte. Er war zu schockiert, um sich bewegen zu können, seine Glieder waren vollkommen taub. Auch sonst rührte sich keiner, niemand gab einen Laut von sich. Alle Augen waren auf den düsteren Schacht gerichtet, in dem Andro verschwunden war.
Jonathan sank auf die Knie und schaute in die Grube. »Andro! Andro, ist alles in Ordnung mit dir?«, rief er und horchte aufmerksam auf Geräusche − ein Murmeln, ein Stöhnen, irgendetwas als Beweis dafür, dass Andro den Sturz überlebt hatte.
Das einzige Geräusch, das er hörte, war das Pochen seines eigenen Herzens in seinen Ohren. Ein alles übertönender Lärm. Er schaute hoch zu den Schaulustigen, die ihn in stillem Entsetzen anstierten.
»Holt eine Laterne!«, verlangte er. »Bring mir doch einer eine Laterne.« Er kletterte auf die Leiter und stieg einige Stufen nach unten.
»Andro war ein kräftiger Mann, aber solch einen Sturz kann er nicht überlebt haben«, sagte einer der Minenarbeiter. »Der ist ganz sicher tot.«
Das wollte Jonathan nicht hören. »Holt mir jetzt endlich einer eine Laterne?«, brüllte er wütend.
Jemand drückte ihm eine Laterne in die Hand, und er kletterte die Leiter ganz hinunter. Als Jonathan Andro auf dem Boden des Schachts ausgestreckt liegen sah, wäre ihm beinahe das Herz stehen geblieben. Der hünenhafte Kroate lag auf dem Rücken, die Arme zu beiden Seiten ausgestreckt, ein Bein in einem seltsamen Winkel unter dem anderen. Da der Schacht nun von der Laterne erleuchtet war, versammelten sich die Minenarbeiter oben an der Öffnung und starrten hinunter.
»Ist er tot?«, rief einer.
Jonathan sank auf die Knie und hielt die Laterne dicht an Andros Gesicht.
»Andro«, sagte er. »Andro, hörst du mich?«
Es kam keine Antwort, aber Jonathan wollte nicht glauben, dass sein Partner, der erst vor so kurzer Zeit sein Freund geworden war, tot war. Andro war einer der kräftigsten Männer, die er kannte. Tief in seinem Innern wusste Jonathan jedoch, dass niemand einen Sturz in einen so tiefen Schacht überleben konnte, erst recht niemand, der von einer Prügelei geschwächt war.
»Nein«, entfuhr es Jonathan gequält.
Die arme Marlee tat ihm unendlich leid. Am liebsten hätte er sich zu Boden geworfen und wegen der Kleinen geweint. Was würde sie ohne ihren Vater anfangen? Wie konnte das Leben nur so grausam sein?
»Ach, Andro, weshalb musstest du dich denn nur mit Bojan prügeln?«, flüsterte er. »Weshalb? Du wusstest doch, dass das ein böses Ende nehmen würde, und Marlee braucht einen Vater.«
Er legte dem Kroaten seine Hand auf die Brust, dann schloss er die Augen und senkte den Kopf. Noch spürte er die Körperwärme seines Partners … und … und das Schlagen seines Herzens, langsam und regelmäßig. Jonathan riss die Augen auf. Andro war nicht tot!
»Du lebst«, sagte Jonathan unglaublich erleichtert.
Wohl zum Zeichen, dass er ihn gehört hatte, bewegte Andro fast unmerklich seinen Arm.
»Er lebt«, rief er voller Freude den Männern oben am Schachtrand zu.
»Andro hat überlebt«, riefen die Minenarbeiter verblüfft. Die Nachricht verbreitete sich schnell unter den Schaulustigen. Keiner konnte es glauben.
Bojan hielt sich im Hintergrund und machte ein Wechselbad der Gefühle durch. Er war erleichtert, dass Andro den Sturz überlebt hatte, denn irgendwie war es nicht richtig, dass die Dinge zwischen ihnen so enden sollten. Aber soweit es ihn betraf, hattensie immer noch etwas zu bereinigen, und das wollte er nicht auf sich beruhen lassen.
In dem Moment erschien Will Spender am Ort des Geschehens. Ein Minenarbeiter hatte ihn aus
Weitere Kostenlose Bücher