Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
Katalanisch kamen. Verträumt folgte ich ihr von einem Laden in den nächsten, während Kinder Ball spielten und ältere Herren in Sportsakkos ihre Hunde ausführten. Ihr lag so viel daran, mich zu zivilisieren, dass sie sich abwendete, als ich mir drei Kugeln Vanilleeis kaufte. Sie bettelte mich förmlich an, das in Zukunft bleiben zu lassen. Das ist ja der Horror!, sagte sie und lachte. War es so, eine Schwester zu haben? Ich mochte es, wie sie sich um mich kümmerte, bestimmend, aber wohlwollend. Vielleicht war ich die Schwester, die sie nie gehabt hatte.
Ich lachte mit, behäbig an ihrer Seite.
*
Helgi kotzt auf die Radfahrmontur seines Vaters, nachdem er einen Bissen von den in Zucker, Salz und Öl gebratenen Eingeweiden probiert hat. Nun führt wirklich kein Weg mehr daran vorbei, Essen einzukaufen und die Waschmaschine anzustellen.
Nachdem Helgi seinen Schlafanzug angezogen hat, telefoniert er ein paar Minuten mit seiner Mutter, während ich mir eine Pause gönne. Ich stelle das Geschirr vorsichtig in die Spülmaschine, während er sagt, dass alles in Ordnung sei, sein Papa noch nicht ganz von der Arbeit zurück und dass es gleich zum Abendessen Spinatlasagne gebe. Er ist wirklich ein feiner Bursche – wie Mama gesagt hat.
Aber was soll ich bloß mit ihm machen?
Die Kakteen auf der Fensterbank in der Küche müssen gegossen werden.
Dankbar für seine Lügen erlaube ich Helgi, mit mir im Internet zu surfen. Ich erfahre, dass für heute Abend Flüge aus Ísafjördur geplant sind, ein Spalt hat sich geöffnet zwischen Himmel und Bergen, hoffentlich bleibt es dabei. Helgi lächelt müde, als er das erfährt, und setzt sich neben mich, während ich nach Nachrichten über Arndís suche.
Auf der Homepage assanart.is finde ich Ankündigungen von Vernissagen und Informationen über die Kunstwerke, die ihre Galerie verkauft. Als ich auf Zukunft klicke, erscheint ein Text, in dem Arndís von ihren Plänen berichtet, in Island weitere Galerien zu eröffnen, so nah wie möglich an der unberührten Natur, am liebsten in allen Teilen des Landes; zu diesem Zwecke suche sie nach alten Fabriken, die man zu Kulturzentren umbauen könne.
Das sieht ihr ähnlich, seufze ich. Sowohl ihre Homepage als auch die Kunst zeugen von ihrem Geschmack, der erstaunlich konservativ ist im Vergleich dazu, wie leidenschaftlich sie in ihrem Leben nach Neuem suchte. Abgesehen davon nutzt mir die Homepage wenig.
Da bei ihr zu Hause niemand abnimmt, wäre der nächste logische Schritt, in der Galerie vorbeizuschauen. Oder gerade nicht! Irgendetwas sagt mir, dass ich an einem Ort, den Arndís selber gestaltet hat, nichts finden werde. Ein von ihr instruierter Angestellter wird ein paar Standardantworten herunterspulen – Antworten, die mich ebenso gut in die Irre führen könnten. Wenigstens habe ich die Telefonnummer, die der Angestellte mir gegeben hat. Ich gebe sie auf der Internetseite des Telefonbuchs ein, sie gehört dem Arzt Gardar Björnsson, wahrscheinlich Arndís’ Freund.
Ich googele Gardar und stelle fest, dass er im Landspítali arbeitet. Ich könnte also als Nächstes versuchen, mich dort nach ihm zu erkundigen. Etwas mehr Zeit zum Nachdenken kann sicher nicht schaden.
Sind Krankenhausärzte eine Randgruppe? Helgi hat sich so eng an mich geschmiegt, dass ich seinen schlechten Atem bemerke. Ich weiß nicht recht, was ich auf seine Frage antworten soll. Murmele: Das nehme ich an. Eigentlich gehören fast alle Leute zu irgendwelchen Randgruppen. Zum Beispiel wir, wie wir hier zusammenleben.
Bist du dir sicher?, fragt er mit einem Mund voller Gähnen, aber weit geöffneten Augen.
So ziemlich.
Ich überlege noch, ob ich das nicht hätte sagen sollen, da kichert er, und ich sehe mir im Internet ein Bild von Arndís an, das vor einiger Zeit in der Zeitung erschienen ist, anlässlich einer Vernissage in ihrer Galerie: Sie lächelt stolz vor einem riesenhaften realistischen Gemälde in grauen und blauen Tönen. Es scheint ihr richtig gut zu gehen.
Ich sehe mir weitere Fotos von Arndís an, auf denen sie ihre Ware präsentiert, und als ich endlich damit aufhöre, ist Helgi mit dem Kopf auf dem Tisch eingeschlafen. Sein Kopf ruht auf dem Malheft, und die rechte Hand liegt schlapp auf der Tischplatte, die Finger um einen roten Buntstift geschlungen. Er atmet regelmäßig und schnarcht leise.
Ich stoße ihn sanft an, bringe ihn mit einem Zwischenstopp im Badezimmer ins Bett und decke ihn gut zu, dann räume ich seine Malsachen
Weitere Kostenlose Bücher