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Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt

Titel: Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audur Jónsdóttir
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niemand ab.
    Wieder steht da: 0,00.
    *
    Mama ruft noch einmal an.
    Die Augen auf den Bildschirm geheftet, sage ich ihr, dass niemand ans Telefon gegangen sei. Das Schweigen am anderen Ende der Leitung lässt mich vermuten, dass sie sich schon eine neue Strategie überlegt, so dass ich hastig frage, was sie den Tag über gemacht habe.
    Ich war in meinem Café und habe ein paar nette Bekannte getroffen. Ásta, die Witwe von Haukur, dem Anstreicher, und Þórdur, meinen alten Grundschulkameraden. Er ist jetzt Witwer.
    Na denn …
    Wir haben uns eine Weile unterhalten und waren uns einig, dass das mit diesen Politikern nichts werden kann. Diese korrupten Säcke haben sich doch wirklich bei Nacht und Nebel aus einer Handvoll Stimmen eine Mehrheit zusammengeschustert.
    Ja, ich habe es im Radio gehört, brumme ich, ohne von den Zahlenkolonnen im Computer aufzusehen.
    Und nun wollen sie einen weiteren Krieg unterstützen, schimpft sie keuchend. Þórdur sagt, das haben sie auf ihrer Pressekonferenz so angekündigt. Ich habe natürlich gesagt, dass die sich lieber um die ganzen Schafe kümmern sollten, die unser Land kahlfressen, ja, ein Krieg gegen die Viehwirtschaft, das wäre mal was, dann meinte Þórdur, ich würde ihm aus dem Herzen sprechen; und fügte hinzu, dass es die Sache nur noch schlimmer macht, wenn man stattdessen Lupinen pflanzt, die in der isländischen Natur nicht heimisch sind und sich schneller verbreiten als Kaninchen. Er ist schon immer ein sehr interessanter Mann gewesen, die Umwelt liegt ihm wirklich am Herzen. Dieser Tage hilft er einem Naturwissenschaftler, seinem Sohn, der Spionage-Eier in Nestern versteckt, die Informationen über das Verhalten von Vögeln sammeln. Ist es nicht schön, dass es Leute gibt, die Spaß daran haben, Vögel auszuspionieren? Ich weiß nur nicht, wie viel Ásta von alldem mitbekommen hat, sie ist schon etwas tüdelig, die Gute. Ich glaube, der Portwein tut ihr nicht mehr besonders gut.
    Nun ja, sagt sie und zieht die Silben in die Länge. Immerhin hast du versucht anzurufen. Das warst du deiner alten Freundin aber auch schuldig, in dieser Situation.
    Ich verspreche ihr, es noch einmal bei Arndís zu versuchen, wenn sie mir im Gegenzug verspricht, dass sie aufhört, dauernd hier anzurufen.
    In Ordnung, mein Spätzchen. Und bevor ich es vergesse, was soll ich mit dem Wollpullover machen, den ich gerade für Axel zu Weihnachten stricke? Mir fällt es in letzter Zeit so schwer, mit schwarzer Wolle zu stricken.
    Mach einen weißen, sage ich.
    Eine große Sonne wirft lange Schatten, ist einer von Mamas Lieblingssprüchen. Nicht selten trifft er auf sie selbst zu.
    *
    Zum dritten Mal erscheint eine Null. Was mache ich bloß falsch?
    Ich kannte ihre Gewohnheiten, ich wusste, wie sie sich anderen gegenüber verhielt. Ich kenne ihre Vergangenheit.
    Wo soll ich suchen …
    woraus besteht heutzutage ihre Welt …
    weiß ich das?
    *
    Niemand nimmt ab. Vielleicht beim nächsten Mal. Vielleicht ist sie dann wieder aufgetaucht.
    Im Internet steht nichts anderes als gestern Abend und heute früh. Irgendwann, wenn das alles vorbei ist und wir Detektive die Lösung des Falles kennen, werde ich bei dem Gedanken an diese Sache gähnen. Die Zeit hüllt alles Aufregende in den Schleier des Normalen. Draußen wird der Wind immer stärker.
    *
    Der Gedanke daran, auch nur einen weiteren Verbrauchermarkt zu betreten, macht mich fertig. Am besten, ich brate mir die Eingeweide, die Mama uns geschenkt hat.
    Solche Sorglosigkeit hätte Arndís sich beim Kochen nie erlaubt. Sie aß zwar mit, wenn ich Blutwurst kochte, aber nur unter der Bedingung, dass sie die selbst beim saubersten Schlachter der Stadt aussuchte. Sie legte großen Wert auf bewusste Ernährung, und so lernte ich, die Öko-Hippieläden von Barcelona nach Biogemüse und glutenfreier Pasta zu durchkämmen und getrocknete Kamillenblüten, Kardamompaste und rauchfreie Räucherkerzen aufzutreiben. Gleichzeitig rauchte sie wie ein Schlot; mit der Zigarette in der Hand mühte sie sich kurz nach ihrer Ankunft durch ein auf Katalanisch geschriebenes Buch über gesunde Ernährung. Manche Menschen sind konsequenter als andere, dachte ich, als wir Einkaufstüten schleppend durch das Raval-Viertel gingen, Papageien in den Palmen plapperten und alte Frauen auf den Türschwellen plauderten. Wir gingen an einem Theater vorbei und spürten den schweren Blumengeruch, der von den feingemachten Theaterbesuchern ausging, die aus dem Tod in Venedig auf

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