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Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt

Titel: Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audur Jónsdóttir
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keinen Kaffee getrunken habe, dem Mann, der den ganzen Tag durch die Straßen zieht. Nächstes Mal mache ich es.
    *
    Endlich geht der Kerl ans Telefon!
    Das Gespräch war überraschend unkompliziert. Es überraschte mich nicht, dass Gardar nie von mir gehört hatte, aber nachdem ich ihm erklärt hatte, woher Arndís und ich uns kannten, wollte er mich unbedingt treffen. Im Hafencafé um halb vier. Ich muss mich also von der Arbeit davonstehlen. Und um fünf Uhr Helgi abholen.
    Allein schon der Gedanke daran, wie schnell die Zeit vergeht, nimmt mir den Atem. Die Tage sausen an mir vorbei. Seit Axel fort ist, ist alles derart aus dem Ruder gelaufen, dass ich wohl einen Krimiautor bräuchte, um das alles zu begreifen.
    Ein Krimiautor würde wohl erst mein Leben betrachten, danach mein näheres Umfeld und dann die Ereignisse der letzten Tage, die weit davon entfernt sind, einen Sinn zu ergeben. In ihrem Uhrwerk ist ein Schlag zu viel oder vielleicht im Gegenteil: einer zu wenig.
    Es könnte natürlich auch passieren, dass ein Krimiautor erst mein näheres Umfeld und die Ereignisse der letzten Tage betrachtet und versucht, daraus Rückschlüsse auf mein Leben zu ziehen. Was weiß ich schon darüber, wie ein Krimiautor arbeitet? Auf jeden Fall komme ich nicht dazu, den Besuch von Valgardur vorzubereiten. Ich kann kaum einen klaren Gedanken fassen, ganz zu schweigen von zwei zusammenhängenden. Das Einzige, was mir in den Kopf kommt, wenn ich über den bevorstehenden Empfang nachdenke, ist, wie ich damals sein Bettlaken gestohlen habe. Was war da bloß in mich gefahren? Er muss denken, ich sei pervers. Vielleicht kann ich ihm irgendwie aus dem Weg gehen. Bisher hat es ja auch geklappt.
    Sunna, probier doch mal schnell das Teddykostüm an, das ich für dich genäht habe.
    Stefanía steht im Türrahmen mit einem Kunststoffpelz, der aussieht wie ein totes Tier in ihren Armen; sie mustert mich vorwurfsvoll schweigend, wahrscheinlich würde sie mich am liebsten ganz in die Waschmaschine stecken. Sind die Brüder und sie vielleicht auf die Idee mit dem Teddykostüm gekommen, weil sie es mir nicht zutrauen, mich für die Verbrauchermärkte angemessen zu kleiden? Der Gedanke malt ein Grinsen auf mein Gesicht, während ich akzeptiere, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als diese Verwandlung in aller Ruhe über mich ergehen zu lassen.
    Na, wer sagt’s denn, sagt sie schließlich. Und übrigens, tu mir den Gefallen und hör auf, diesem Verrückten mit der Reisetasche Havanna-Zigarren zuzustecken. So was macht man einfach nicht. Er ist ein Penner, vergiss das nicht. Du bist alt genug, du müsstest es eigentlich besser wissen.
    *
    Im Hafencafé hocken ein paar Männer, nur einer von ihnen trägt keinen Overall. Er sitzt an einem Fenster mit Sicht auf den Hafen, trinkt Malzbier aus einem Glas und verfolgt mit melancholischem Blick, wie ein paar Möwen auf einem Bootssteg um einen Fischkadaver kämpfen.
    Guten Tag, sage ich. Er zuckt zusammen.
    Guten Tag, sagt er knapp. Sie sind dann wohl Sunna.
    Ich bejahe das mit einem Lächeln, hole mir am Tresen einen Kaffee und nehme mit einem weißen Becher in der Hand gegenüber von ihm Platz. Er ist ein attraktiver Mann. Ein matter Sonnenstrahl spielt um sein gleichmäßiges, sonnengebräuntes Gesicht und lässt die hellen Sommersprossen aufscheinen, die es bedecken. Im Abendzwielicht sind seine Augen mal grün, mal braun, der Blick nachdenklich und entschlossen. Sein Haar ist kurz und der Körper athletisch, er sieht aus wie ein Outdoor-Mensch. Bevor ich etwas sagen kann, entschuldigt er sich für seine Kleidung: Khakihosen, weißes T-Shirt und hellblaue Jacke; das seien die einzigen Klamotten, die er auf der Arbeit zum Wechseln hatte. Ein jungenhaftes Lächeln erscheint auf seinem Gesicht, das sofort wieder verschwindet und einer Verkniffenheit in seinen Mundwinkeln weicht – oder ist das Scham? Er sieht wieder hinaus zu den Möwen und fragt geistesabwesend, was ich ihm über Arndís sagen könne.
    Ich wiederhole, was ich ihm bereits über unsere Freundschaft gesagt habe, und gebe zu, dass ich ihr seit Barcelona nicht mehr begegnet bin, dass ich mich nicht bei ihr gemeldet habe, nachdem Benni auf diese furchtbare Weise ums Leben gekommen ist. Er sei ein echter Held gewesen.
    Er sieht mich aus den Augenwinkeln an und sagt: Benedikt hat nichts umsonst gemacht, da bin ich mir sicher, wir haben lange zusammen studiert. Er war dort im Auftrag einer internationalen Firma unterwegs, die einem

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