Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
Arzt gehört: Futura nostra hieß die, glaube ich. Ich habe nie ganz verstanden, worum es dabei ging, fliegende Labore, habe ich mal gehört, aber eins, das sage ich Ihnen: Benedikt hatte schon immer eine Schwäche für Luftschlösser, da musste meine Frau einiges ausstehen, sie hat gar nicht darüber sprechen wollen.
Gardar verstummt, als ob er sich verplappert hätte, der Schleier der Einsamkeit legt sich über diesen Mann, dem man ansieht, dass er nicht begreift, in welche Situation er geraten ist. Wohin soll er nun seine Aufmerksamkeit richten? Auf die Möwen mit den Fischfetzen.
Sie sind verheiratet?, frage ich dümmlich. Ungeduld flackert in seinem Blick auf, während Gardar antwortet, dass sie Lebensgefährten seien, keiner von ihnen brauche den Segen von anderen, schon gar nicht den von Staat oder Kirche, wenn ich das gemeint hätte. Er nimmt einen Schluck Kaffee und sieht mich an, dann fragt er, warum ich behauptet habe, ein längst vergangenes Abenteuer im Ausland könne ihm helfen, Arndís zu finden.
Das habe ich überhaupt nicht behauptet, stammele ich. Ich wollte es nur auf einen Versuch ankommen lassen. Für den Fall, dass … Man weiß doch nie.
Gardar zieht die Augenbrauen zusammen, während er sagt, dass er schon mit etwas Hilfreicherem gerechnet habe. Meine Wangen werden heiß, während ich mit immer größerer Wut an Miss Marple und Sherlock Holmes denke – zum Zeitvertreib in einem Kriminalfall zu ermitteln ist etwas völlig anderes, als einem der Betroffenen gegenüberzusitzen. Wir schweigen, bis ich druckse, dass ich in unserem Telefongespräch erwähnt habe, Arndís nur aus der Zeit in Barcelona zu kennen.
Dann habe ich Sie wohl falsch verstanden, sagt er hastig. Entschuldigen Sie, diese Ungewissheit ist so furchtbar, da versuche ich einfach alles, auch wenn es eigentlich ausweglos ist. Sie wissen wahrscheinlich, dass Arndís eine Tochter mit Benedikt hatte, ein wunderbares kleines Mädchen, dem ich seit Jahren versuche, den Vater zu ersetzen, aber ich allein reiche ihr einfach nicht. Ein zärtlicher Ton mischt sich in seine Stimme und kämpft gegen die Verzweiflung an. Nun sieht Gardar mich direkt an, und seine Augen werden feucht, als er sagt: Sie fragt immer nach ihrer Mutter. Wie soll ich ihr erklären, dass sie verschwunden ist?
Das können Sie überhaupt nicht erklären, sage ich. Sie müssen einfach nur lieb zu ihr sein und dafür sorgen, dass alles so normal wie möglich weitergeht. Das ist schwer. Aber Ihnen bleibt nichts anderes übrig.
Zum ersten Mal glaube ich eine Art Vertrauen in seinem Blick zu entdecken, als er mich fragt, ob ich Kinder habe.
Nein, aber ich kümmere mich im Moment um den Sohn meines Mannes, der seit Tagen in Ísafjördur in einem Unwetter festsitzt, sage ich und spüre, wie absurd das klingt, noch bevor ich merke, wie verwirrt Gardar kuckt. Eilig wechsele ich das Gesprächsthema und sage, dass ich mich an das riesige Medienecho erinnere, als das kleine Mädchen geboren wurde, das sei doch alles ganz unglaublich gewesen.
Kann man wohl sagen, sagt er gleichgültig und schaut nach den Möwen. Sie sind weg. Draußen passiert überhaupt nichts, er will einfach meinem Blick ausweichen, außer er interessiert sich brennend für die Boote Rósa, Vigdís, Herborg und María. Spielt er vielleicht mit dem Gedanken, sich ein Boot namens Arndís zu kaufen? Grübele ich vor mich hin, als er aufspringt und sagt, dass er nun schnell wieder zur Arbeit müsse, aber hoffe, dass ich mich bei ihm melden würde, falls mir noch etwas einfallen sollte, obwohl … ich ja eher wenig zu sagen wusste.
Gar nichts, meinen Sie! Ich lache gekünstelt, ergreife seine Hand und wäre am liebsten im Hafenbecken versunken. Füge schnell hinzu, dass es vielleicht dumm von mir war, ihn anzurufen, aber es kam mir einfach so merkwürdig vor, ein Bild von Arndís in der Zeitung zu sehen und nicht zu wissen, wo sie abgeblieben ist.
Das Gefühl kenne ich gut, sagt Gardar und lächelt kurz. Nachdem er sich verabschiedet hat, bleibt ein Hauch seines Rasierwassers zurück.
In seiner Gegenwart hatte ich mich so sicher gefühlt, dass ich ihm vertrauen würde, mich über eine himmelhohe Hängebrücke zu führen, ein von seiner ruhigen Art ausgehendes Sicherheitsgefühl, vermischt mit Rasierwasser.
Vielleicht war das die Aura des Arztes, bei näherem Nachdenken erinnere ich mich an die absolute Selbstsicherheit, die Benedikt ausstrahlte. Er hatte etwas Tollkühnes, dieser hübsche, gut gekleidete
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