Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
von Barcelona gelaufen bin. Vielleicht sind das nur ein paar Jugendliche, die hier heimlich rauchen. Vielleicht auch nicht. Das sind Männer.
Ich beschleunige meinen Schritt, denn mir ist eingefallen, dass die Polizei nach drei dunkelhäutigen, womöglich gewalttätigen Männern fahndet. Das Geschlecht der Schatten kann ich nicht erkennen, es könnten auch Frauen sein, die Einkaufstaschen in den Kofferraum stellen. Nun lässt eins der Autos den Motor an. Sind die zuckenden Schatten noch da? Schatten von Junkies? Vergewaltigern? Kalter Schweiß läuft mir den Rücken hinunter. Ich renne. Schnell, schneller.
*
Mit Blutgeschmack im Mund schlittere ich in den Eingang eines kleinen Supermarktes und komme, an einen Stapel Mandarinenkisten gelehnt, keuchend wieder zu Atem.
Draußen ist niemand zu sehen, außer einem Mann, der mürrisch ein quengelndes Kind ins Auto setzt, es ist zu dünn angezogen, der trügerische Sonnenschein ist schuld. Das Lied Winter Wonderland tönt aus Lautsprechern mit Weihnachtsmannmützen und treibt mich weiter. Meine Fantasie muss mir einen Streich gespielt haben.
Dass Axel nicht da ist, macht mir zu schaffen, im tiefsten Winter, in der hektischsten Zeit des Jahres. Doch meine Nerven dürfen mich jetzt nicht im Stich lassen, ich muss auf mich aufpassen. In diesem Zustand wäre es gar nicht schlecht, einen neuen Yoga-Kurs anzufangen. Billiger wäre es allerdings, etwas Nahrhaftes zu kochen! In meinem Portemonnaie verstecken sich drei Scheine und ein Haufen Kleingeld. Ich beschließe, ein Gemüsegericht für Helgi zu kaufen und für mich Fleisch. Ihm muss ja nicht wieder von dem Essen schlecht werden.
*
Mit Einkaufstüten beladen lasse ich mir für meine letzten Kronen ein Taxi rufen. Hoffentlich ist noch etwas auf dem Konto. Ich überlege, wovor ich mehr Angst haben sollte, vor Gewaltverbrechern im Dunkeln oder vor meinem Kundenbetreuer bei der Bank.
Helgi steht die Erleichterung ins Gesicht geschrieben, als das Taxi am Schuleingang vorfährt. Die Schultasche hüpft auf seinem Rücken auf und ab, als er angelaufen kommt und in den Wagen springt. Seine meerblauen Augen strahlen über den verfrorenen Wangen, das Haar steht elektrisiert nach oben ab, nachdem er die Mütze abnimmt.
Heute Abend koche ich Herz und Leber für mich, sage ich dann. Und du bekommst einen Gemüsebratling mit Salat.
Das Menü scheint ihm zuzusagen, denn er legt seine Hand in meine und lehnt sich an die Fensterscheibe. Dann fragt er, ob ich das Auto sehe, das hinter dem Taxi bei der Schule vorgefahren sei und uns nun weiter folgt. Da sei niemand aus- oder eingestiegen.
*
Das muss er sich eingebildet haben. Er hat eine blühende Fantasie. Den Kopf über die Reli-Hausaufgaben gebeugt, grinst er mich an, nachdem er gefragt hat, was Jesus den Massen gegeben habe, um sie zu beruhigen.
Fisch, rate ich. Oder war das Brot?
Seligkeit, sagte er, ohne zu blinzeln. Und bricht in gellendes Gelächter aus. Hoffentlich findet er in der Schule bald ein paar Freunde.
5. Dezember
NACHTBLIND TAPPE ICH in die Küche. Als ich das Licht anmache, fällt mir wieder das Auto ein, nach kurzem Nachdenken beschließe ich jedoch, dass es Einbildung gewesen sein muss. Helgi ist dänische Lichtverhältnisse gewohnt, die Dunkelheit hier verwirrt ihn.
Wir werden noch beide ganz neurotisch, wenn wir weiter so Tag für Tag auf Axel warten müssen, keiner von uns hat damit gerechnet, in so einer Situation zu landen, zappelnd in der Luft zu hängen, während eine Krimidozentin unsere Fantasie anregt. Wir brauchen Ruhe, sind erschöpft, Unsicherheit und Wetterkapriolen zehren an uns, so dass ich nach den Abendnachrichten einfach wegdämmere, endlich mal wieder richtig satt gegessen. Ich glaube, ich bin sogar vor Helgi eingeschlafen, denn auf dem Küchentisch liegt sein Malheft mit einer Krimi-Szene: Ein Mann mit Sherlock-Holmes-Mütze isst einen Apfel in einer Detektei, während ein zwielichtiger Geselle durchs Fenster hereinkuckt. Ich erinnere mich dunkel daran, auf Buntstiften ausgerutscht zu sein, als ich in der Nacht aufgewacht bin und ihn im Halbschlaf ins Bett gebracht habe.
Er braucht seinen Schlaf.
Beim Kaffeekochen gähne ich, wie meistens, schlinge einen Joghurt herunter und mache den Computer an. Überfliege die wichtigsten Nachrichten, während ich darauf warte, dass der Kaffee fertig ist. Ich rechne nicht damit, dass Arndís wieder aufgetaucht ist, was sich als richtig erweist.
Gardar hatte von einer Firma namens Futura nostra
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