Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
gesprochen. Ich suche im Internet danach, überfliege die sehr unterschiedlichen Suchergebnisse, bis ich an der Homepage eines Medizin-Unternehmens hängen bleibe, auf der in mehreren Sprachen ein Werbetext über Organtransplantationen und Stammzellenforschung steht.
Futura nostra fühlt sich dem Geist des neuen Jahrtausends verpflichtet , steht dort. Das Unternehmen besitzt drei verschiedene Standorte: Die Zentrale in Brüssel, dann ein Krankenhaus in Peking als Basis eines mobilen Ärzteteams, das weltweit im Einsatz ist. Hinzu kommt dann noch ein medizinisch-pharmazeutisches Forschungszentrum in Mexiko-Stadt.
Futura nostra ist die Hoffnung der Menschheit, steht auf einem rot-weißen Banner, das oben auf der Seite blinkt. Als ich darauf klicke, erscheint ein Bild von spielenden Kindern und darunter ein Infotext über Stammzellen:
Die Stammzellenforschung ist in den vergangenen Jahren in aller Welt kontrovers diskutiert worden. Besondere Aufmerksamkeit ist dabei der Frage der Forschung an embryonalen Stammzellen zugekommen. Wir bei Futura nostra verfolgen diese Debatten über den ethischen und juristischen Rahmen der Stammzellenforschung sehr aufmerksam. Unsere Mitarbeiter sind Pioniere auf ihren Gebieten: Ärzte, Rechtsanwälte und Philosophen, Geistes- und Naturwissenschaftler. Unser Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Stammzellenforschung, denn wir glauben an eine bessere Welt, und wir glauben daran, dass der Schlüssel zu dieser besseren Welt sowohl im mikroskopisch Kleinen als auch im astronomisch Großen liegt. Stammzellen sind eines der größten Wunder unserer Welt. Unsere Forschung gibt der Menschheit Hoffnung auf eine leuchtende Zukunft. Wir bei Futura nostra wagen uns daran, die Zukunft zu erforschen. Wir glauben an die Menschheit. Damit unsere Wissenschaftler und Ärzte die Welt besser machen können, brauchen sie die Freiheit, die verborgensten Geheimnisse unseres Lebens zu erforschen.
Mein Schultermuskel schmerzt erneut, während ich alle möglichen Rubriken anklicke. Nachdem ich auf das Wort Gründer geklickt habe, erscheint das Bild eines lächelnden Mannes. Dr. Zardari, ein pakistanischer Arzt, der aus einer teils hinduistischen, teils muslimischen Familie kommt und fest an die visionäre Kraft seiner Arbeit glaubt, fest entschlossen, seine Forschung in den Dienst der Menschheit zu stellen. Seit seiner Jugend ist Dr. Zardari an den Rollstuhl gefesselt, was – obwohl er im Krisengebiet Kaschmir aufgewachsen ist – nicht durch eine Gewehrkugel kam, sondern durch Kinderlähmung.
Als der Kaffee fertig ist, speichere ich die Webseite als Bookmark, gieße mir einen Schluck des lang ersehnten Getränks ein, stürze ihn so schnell es geht herunter und schenke mir nach, bevor ich mich wieder an den Computer setze. Gähnend lasse ich die Augen über die Seiten schweifen, bis ich bei einem Link hängen bleibe, der das nächste Gähnen im Keim erstickt. Was man nicht alles im Internet findet!
Da sehe ich doch wirklich eine Preisliste für illegale Organtransplantationen, schwindelerregende Schwarzmarktpreise für die wichtigsten Organe in kleinen Tabellenkästchen.
Einen Augenblick überlege ich, ob diese Seite ein Scherz ist oder als Warnung dienen soll, neige aber zu Letzterem, nachdem ich auf eine Blog-Seite stoße, auf der jemand anprangert, dass konservative Amerikaner die Stammzellenforschung ablehnen, während ihre reichen Landsleute sich Organe auf dem Schwarzmarkt kaufen. Als Bestätigung seiner These verweist der Blogger auf den Bericht eines indischen Arbeiters auf der Homepage der BBC: Dieser Arbeiter ließ sich von zwei Männern, die ihm einen Job auf einer Baustelle anboten, in ihr Auto locken, und als er wieder aufwachte, fehlte ihm eine Niere. Es hatte ihn schon gewundert, dass die Männer sich ungewöhnlich stark für seinen Gesundheitszustand interessiert hatten.
Was liest du da? Helgi kommt angesaust und schaut über meine Schulter auf den Bildschirm wie sein Vater. So unternehmungslustig wie Axel, aber nachdenklicher dabei, derselbe Blick, ein anderes Lächeln.
Das frage ich mich auch! Ich fahre den Computer herunter und setze für ihn ein Lächeln auf. Bist du etwa schon wach?
*
Helgi knuspert seine Cornflakes und lässt seine Augen nicht von mir, als er schluckt und dann vorsichtig fragt, ob ich es nicht komisch finde, dass sein Vater so lange weg ist. Ich bemühe mich, mir nichts anmerken zu lassen, und sage aufgekratzt: Vielleicht kommt er ja heute!
Als du gestern Abend
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