Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
Inbrunst, dass man denken konnte, er sei ein Verwandter von ihr. Sie konnte sich gar nicht genug darüber empören, in was für schlimmen Verhältnissen ihre Freundin dort gelebt hatte – wenn Arndís darüber sprach, schien es mir, als hasste sie die ganze Welt. Ihre Augen funkelten, wenn sie beschrieb, wie lebendig sie sich in Fatimas Gegenwart fühlte, wie das Blut dann durch ihren Körper schoss. Sie wollte nichts sehnlicher, als Fatima für ihre Vergangenheit entschädigen, ihr Leben besser, ja, perfekt machen. So wie sie ihr eigenes Leben nie perfekt machen konnte in einem Körper, der sie ohne Vorwarnung machtlos machen konnte – doch das denke ich erst jetzt. Damals hatte sie einfach nur eine neue Freundin gefunden, und ich war eifersüchtig.
Ich wagte kaum daran zu denken, wie es wäre, wenn ich meine Rolle in Arndís’ Leben verlor. Es gab nur eine Lösung: Ich musste mich mit Fatima anfreunden. Also schlug ich vor, dass wir einen Mädchenabend machten.
Arndís gefiel die Idee, uns zusammenzubringen, so sehr, dass ich den Eindruck bekam, sie habe mich wirklich vermisst. Sie bereitete den Besuch mit großer Leidenschaft vor, bestach unsere Mitbewohner, damit sie an dem Tag irgendwohin zum Essen gingen, eilte mit zwei Einkaufskörben auf den Markt und putzte die Wohnung wie eine Blöde. Kaufte eine Stehlampe.
Wir brauchten eine Beleuchtung wie für ein Fotoshooting, denn Fatima und ich sollten die Sachen anprobieren, die Arndís auf Flohmärkten und bei Verkaufsschauen von jungen Designern zusammengetragen hatte, um sie in Island zu verkaufen.
*
Als Fatima kam, war es uns wirklich gelungen, mit Räucherstäbchen und Duftkerzen den muffigen Geruch aus der Wohnung zu vertreiben. Sie stand vor uns in einem pastellblauen Kleid und nahm das Kopftuch ab, ihre Augen glänzten in dem matten Kerzenschein. Es frappierte mich, wie jung sie wirkte, als sie das Kopftuch abnahm und das dunkle Haar ihr über die Schultern fiel. In ihrem Blick lag Lebenserfahrung, aber ihr Gesicht war kindlich, eine Kartoffelnase über einer dicken Oberlippe und den stumpfen weißen Zähnen. Ich habe es gefunden, sagte sie, und als sie lächelte, erschienen tiefe Grübchen in ihren Wangen.
Hi, komm rein. Arndís stellte sich auf die Zehenspitzen und sah mich erwartungsvoll an, bis auch ich Hi sagte. Weiterhin lächelnd schloss Fatima die Tür. Schön, dich wiederzusehen, sagte sie ruhig.
Gleichfalls, sagte ich kläglich. Wir sollte ich mich ihr gegenüber verhalten? Sie war eine illegal eingewanderte Muslimin, und nach den Erzählungen von Arndís hatte sie Schlimmes erlebt. Ich hatte noch nie mit so jemandem geredet und fürchtete, meine Ignoranz könnte sie beleidigen. Ich wusste nicht weiter, begann, die ganze Aktion zu bereuen, und als wir schließlich in die Küche gingen, lächelte ich so mild wie möglich.
Arndís legte Serge Gainsbourg auf, dann plauderten sie über dies und jenes, Fatima tat Suppenfleisch in den Topf und Öl, Zwiebeln und Gewürze hinzu, setzte sich an den Küchentisch und begann, Gemüse zu schnibbeln.
Fatima wollte uns zeigen, wie man richtigen Kuskus zubereitet, also verfolgten wir ihre langsamen, aber exakten Handgriffe, während sie ohne Pause redete. Sie erzählte Anekdoten aus dem Imbiss, wir ließen uns von ihrem dunklen Lachen anstecken, steckten uns Paprikastücke in den Mund. In Windeseile hatte sie einen riesigen Berg von Gemüse geschnitten: Weißkohl, Kürbis und Rüben. Sie hackte Koriander und Petersilie und fegte alles in den Topf. Gab Butter und Salz dazu. Schnitt Möhren und Zucchini in Stifte. Häutete Tomaten und goss das Wasser von den Kichererbsen ab, schnitt die Tomaten klein und ließ sie dort liegen, um sie am Schluss in den Sud zu mischen. Dann nahm sie einen Schluck von dem alkoholfreien Cocktail, den Arndís ihr aus Mango, Orange und Erdbeere gemacht hatte, und blätterte durch ein Magazin von dem Stapel auf unserem Küchentisch. Wenig später nahm sie ihr Handy und sprach gut gelaunt auf Arabisch mit der Frau eines ihrer Cousins, während wir in der Küche etwas aufräumten. Es war ein echter Mädchenabend. Schließlich waren wir mit dem Aufräumen und sie mit dem Telefonieren fertig.
Im Kochtopf blubberte es, wir redeten über Jungs, Musik und Klamotten. Fatima erzählte davon, wie viel Spaß es ihr machte zu nähen, und skizzierte ein paar Ideen auf der Rückseite eines Modemagazins. Dann sprachen wir weiter über Jungs, und das Gespräch kam auf Fatimas Cousins. Die
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