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Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt

Titel: Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audur Jónsdóttir
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Sie lesen in meinem Gesicht, fressen gierig jeden Gedanken.
    Ich habe ein paar Kleinigkeiten über ihr Privatleben herausgefunden, aber nichts, das ihr in eurer Geschichte verwenden könnt, druckse ich, gottfroh, dass Oddný in diesem Moment die Sitzung beendet. Ich springe auf, um die Kaffeetassen einzusammeln, laufe von Tisch zu Tisch mit nur einer Frage in meinem Kopf: Gibt es in meinem Leben einen Plot?
    Diese Frage wirft weitere Fragen auf:
    Ist Arndís am Leben?
    Warum habe ich mich nicht bei ihr gemeldet,
als Benedikt starb?
    Warum suche ich nach Arndís?
    Haben Terroristen und internationale Konzerne etwas
mit meinem Leben zu tun?
    Warum ist Helgi bei mir?
    Wann kommt Axel zurück?
    Was wird Valgardur sagen, wenn eine Bettwäschediebin einen Krimi-Workshop organisiert?
    Was weiß ich überhaupt?
    Zum Glück schreibe ich keine Krimis.
    *
    Ich fahre mit dem Verlagsauto nach Hause, es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn die Brüder das bemerken. Die haben genug mit sich selber zu tun, diese Apfelwein schlürfenden Gecken, schimpfe ich, so dass Mama mich fragend ansieht. Was für Gecken?
    Meine Chefs, sage ich. Die Brüder, die manchmal in dein Café kommen.
    Ach die, sagt sie schmatzend. Lass dir eins gesagt sein, mein Vögelchen, Kapitalisten, die schöngeistige Literatur herausgeben, vertraue ich aus Prinzip nicht.
    Sie sagt das so kämpferisch, dass es ulkig ist. Ich frage, ob man denn überhaupt gleichzeitig Kapitalist und Buchverleger sein könne. Sie rümpft die Nase. Du bist wirklich naiv. Kapitalisten verbergen sich in den radikalsten Roten Zellen.
    Was du alles weißt, Nanna! Helgi steckt den Kopf zwischen den beiden Vordersitzen hindurch und schlägt einen perfekten Buchtitel für meinen Verlag vor: Der Kapitalist in der Roten Zelle.
    Oder umgekehrt, sage ich. Achte nicht so sehr darauf, was Mama sagt, sie ist in diesen Dingen sehr altmodisch. Ein echtes Fossil.
    Ich finde sie fett, sagt Helgi so entschlossen, dass Mamas Gesichtsausdruck an einen zunehmenden Mond erinnert, als sie entgegnet, dass das hoffentlich dänischer Slang sei und kein normales Adjektiv.
    Fast hätte ich sie gebeten, auf Helgi aufzupassen, während ich schnell zu Gardar fahre und ihm die neuesten Nachrichten von den Marokkanern erzähle. Doch irgendetwas hält mich zurück. Ich habe das Gefühl, sie ist schon zu viel in eine Sache verwickelt, die ich nicht einmal selbst verstehe. Er wird schon eine halbe Stunde allein zu Hause bleiben können. Natürlich wäre es klüger, Gardar einfach anzurufen, schließlich könnte er auch Dienst haben, aber es ist einfach zu verlockend, Arndís’ Haus sehen zu können, wenn auch nur von außen. Nun will ich mehr über sie wissen. Irgendetwas.
    An ihrer Haustür verabschiedet Mama mich mit einem Kuss.
    Schweigend fahren Helgi und ich durch die leeren Straßen, dann schalte ich das Radio an. Eine Männerstimme bricht durch das Rauschen und warnt vor einem Unwetter, das heute Nacht aufziehen soll. Der Katastrophenschutz bittet alle, nach Möglichkeit zu Hause zu bleiben, die Schulen bleiben morgen geschlossen.
    Ich sehe in den Rückspiegel. Hast du das gehört, Helgi? Nun kommt echtes Winterwetter.
    Alles Wetter ist echt, gähnt Helgi mit geschlossenen Augen. Unglaublich, wie ernst dieser Junge sein kann, hundsbeleidigt, seit ich ihm gesagt habe, dass ich kurz noch mal los und er einen Moment lang allein bleiben müsste. Wie ein Schlafwandler schwebt er vom Auto zur Haustür, ist dann plötzlich hellwach, während ich mit dem Türschloss kämpfe.
    Sunna, Sunna, flüstert er hastig, kuck mal, nun kuck doch mal!
    Was?
    Da!
    Im Vorgarten in der Nähe des Bürgersteigs liegt ein steifes Mäusejunges, das der Wind hin und her wirft.
    Das gibt es doch nicht, schnaufe ich. Wo kommen bloß diese toten Mäusebabys her?
    Ich sehe zum Haus meines Nachbarn. In der Küche ist alles dunkel, aber auf dem Flur sehe ich den Widerschein eines Lichts, jemand ist zu Hause. Ohne nachzudenken laufe ich zur Tür. Klingele.
    Ein Mann mit langem Gesicht kommt zur Tür. Um die dreißig ist er wohl, obwohl er sich älter kleidet: Strickweste über einem pistaziengrünen Schlafanzug und Pantoffeln. Sein Kopf glänzt wie ein Ei, eine Brille vergrößert die braunen Augen in einem Gesicht, das ich schon öfter gesehen habe, im Kiosk an der Ecke, in seinem Garten, bei der Demonstration vor dem Parlament.
    Guten Abend, sagt er.
    Hallo, sage ich und zeige über meine Schulter. Wissen Sie etwas darüber?
    Er rückt die

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