Jenseits des Meeres
begeben. Doch vor dem Morgengrauen werden wir wieder aufbrechen.“ Er saß ab und hob Megan dann aus dem Sattel. Dabei fiel ihm wieder einmal auf, wie zerbrechlich sie doch wirkte. Sie schwankte, bemühte sich jedoch, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Sofort hob Kieran sie sich auf die Arme und trug sie ans Flussufer. „Wascht Eure Wunden, Megan. Und danach müsst Ihr schlafen.“
Kieran band die Rösser an, breitete dann seinen Umhang aus und half seinem Bruder, sich darauf niederzulegen. „Ich kümmere mich um deine Verletzungen.“
„Die sind doch gar nicht schlimm. Kümmere dich lieber um Megan.“
Überrascht hob Kieran den Kopf. Sie saß noch immer an derselben Stelle, wo er sie zurückgelassen hatte. Rasch versorgte er die Wunden seines Bruders und ging anschließend zu ihr.
Als er herankam, blickte sie kurz zu ihm auf, sagte aber nichts. Kieran betrachtete ihr blasses Gesicht und erinnerte sich, dass sie auch während des langen Ritts merkwürdig schweigsam gewesen war.
„Was habt Ihr denn, Megan? Seid Ihr verletzt?“
Sie schüttelte den Kopf. „Das nicht.“ Tränen stiegen ihr in die Augen.
Sofort hockte er sich neben sie. „Sagt mir, wo es Euch wehtut.“ Wieder schüttelte sie den Kopf und senkte den Blick. „Ich verstehe nicht, weshalb ich mich plötzlich so schwach fühle.“
Kieran streichelte ihr die Wange und wischte dabei ihre Tränen fort. „Das ist nur die Erschöpfung. Ihr habt Euch zu sehr angestrengt.“
„Nein, das ist es nicht allein.“ Sie schaute auf ihr zerrissenes und mit dem Blut des Wachhauptmannes beflecktes Gewand. „Das kann ich nicht mehr an mir sehen.“
„Wie meint Ihr das?“
Sie zerrte an den Knöpfen ihres Mieders. „Ich ertrage es nicht, dieses Gewand anzuhaben. Ich muss es loswerden.“
„Verstehe.“ Kieran ging zu den Pferden und wühlte in den Satteltaschen herum. Als er zu Megan zurückkehrte, brachte er eine Männerhose sowie ein Hemd mit. „Dies wird Euch viel zu groß sein, Megan, doch die Sachen sind sauber und zweckmäßig.“
Er beobachtete, wie sie ihr Gewand ablegte und sich die Männerkleidung anzog. Als sie damit fertig war, lehnte sie sich erschöpft zurück. Kieran trug sie an den Platz neben seinem Bruder und wickelte sie in ihren Umhang.
„Schlaft jetzt“, flüsterte er. „Morgen werdet Ihr Euch besser fühlen.“
„Nein.“ Sie ergriff seine Hand und hielt sie fest.
Erschrocken sank er auf die Knie und betrachtete ihr gequältes Gesicht. „Was habt Ihr denn, Megan?“
„Ich weiß nicht.“ Ihre Lippen bebten. „Nein, das ist nicht wahr. Ich weiß genau, was mich so beunruhigt. Ich habe jemandem das Leben genommen. Mord ist doch etwas sehr Schlimmes, nicht wahr?“
„Ja, etwas sehr Schlimmes. Doch Ihr habt in Notwehr gehandelt. Hättet Ihr ihn nicht getötet, wäret Ihr jetzt nicht mehr am Leben. Zuvor hätte sich noch jeder Soldat an Euch vergangen. Euch blieb also gar nichts anderes übrig, als ihn umzubringen.“
Sie wandte sich an Colin, dessen Miene ebenfalls Besorgnis widerspiegelte. „Ihr sagtet, Rache stünde ausschließlich dem Herrn zu.“
Colin nickte. „Ja, doch wie Kieran eben erklärte - Ihr hattet ja keine Wahl.“
„Ihr versteht noch immer nicht.“ Aufs Neue kamen ihr die Tränen, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. „Ich fürchtete mich nicht.“ Ihre Worte kamen nur stockend und langsam, weil sie ihr Schluchzen unterdrücken wollte. „Ich hatte keine Angst, weil ich wusste, dass ich ihn würde töten können.“
Sie war wirklich eine seltsame Frau, und sie sprach in Rätseln. „Das beunruhigt Euch, Megan?“ Kieran fasste sie bei den Schultern und spürte, wie sie zitterte.
„Ja. Was für ein Mensch bin ich nur, dass mir das Töten so leicht fällt?“
„Was für ein Mensch? Ach, Megan ..." Kieran nahm sie in die Arme und zog Megan eng an sich. Während ihre Tränen sein Hemd durchnässten, strich er ihr übers Haar und wiegte sie wie ein kleines Kind. „Eure Vergangenheit ist mir zwar unbekannt, doch mir habt Ihr bewiesen, dass Ihr ein tapferer, mutiger Mensch seid.“ Ihr Beben ließ allmählich nach.
Kieran war kein Mann großer Worte, doch er wusste, dass er etwas finden musste, womit er Megan trösten konnte. „Ohne etwas über .meine sowie Colins Vorgeschichte zu wissen, versorgtet Ihr unsere Wunden“, flüsterte er besänftigend. „Dazu bedurfte es eines wahrhaft großmütigen Geistes. Und als wir Eure Hilfe brauchten, rettetet Ihr uns das Leben. Dazu war großer
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