Jenseits des Mondes
– oder vielmehr Montagmorgen – den Kopf auf mein verlockend weiches Kissen sinken ließ, warf ich einen flüchtigen Blick auf meinen Wecker. Er zeigte fünf Uhr achtundvierzig an. Ich rechnete nach, und mir wurde klar, dass ich noch genau siebenundfünfzig Minuten Zeit zum Schlafen hatte, bevor der Wecker klingeln würde.
Ich kam zu dem Schluss, dass es sich nicht lohnte, für die paar Minuten noch einzunicken. Aus Erfahrung wusste ich, dass ein bisschen Schlaf manchmal schlimmer war als gar keiner. Ich war dann immer benebelt und schlecht gelaunt. Also lag ich da und sah zu, wie der Zeiger der Uhr umsprang: fünf Uhr neunundvierzig. Fünf Uhr fünfzig. Ich erinnerte mich noch daran, wie er auf fünf Uhr einundfünfzig umsprang, bevor meine Mutter mich um sieben Uhr vier wach rüttelte. Es war das erste Mal, dass sie kommen und mich wecken musste.
Nachdem sie wieder rausgegangen war, schob ich die Decke zurück und rutschte von der Bettkante. Jede Faser meines Körpers tat weh. Falsch: Sie schrie vor Schmerz. Was hatte Rafe mir angetan? Wie sollte ich es bei dem Muskelkater mit den Gefallenen aufnehmen?
Ich humpelte über den Flur ins Bad und hoffte, dass eine heiße Dusche und zwei Ibuprofen meine Qualen etwas lindern würden. Ich gestattete mir ein paar Extraminuten im heißen Dampf, dann stieg ich aus der Dusche und in meine Kleider. Meine Muskeln versagten mir nicht komplett den Dienst. Wenigstens etwas. Vielleicht würde ich den Schultag also irgendwie durchstehen, auch wenn ich bereits mit Schaudern an eine weitere Trainingsnacht mit Rafe dachte.
Als ich es endlich die Treppe heruntergeschafft hatte, stand meine Mutter am Küchentresen und schmierte mir wie jeden Morgen meinen Toast mit Himbeermarmelade. Ich versuchte, mir meine Schmerzen nicht anmerken zu lassen, und verlor ein paar Worte über den bevorstehenden Schultag, so wie immer. Zum ersten Mal seit meiner Rückkehr aus Boston fiel es mir nicht schwer, mich mit ihr zu unterhalten. Die Wut, die ich wegen all der Lügen auf sie gehabt hatte, war verraucht und hatte tiefer Dankbarkeit Platz gemacht. Rafe hatte mir die Augen dafür geöffnet, was für Opfer sie gebracht hatten, um mich in der nötigen Unwissenheit aufzuziehen.
Die Hupe von Michaels Wagen setzte unserer Unterhaltung ein Ende. Ich schwang mir meine Tasche über die Schulter und verabschiedete mich von meiner Mutter. Ein plötzlicher Drang überkam mich, und ich drehte mich noch einmal um und drückte sie. Ganz egal, was sie war – Engel oder Sterbliche, gefallen oder erlöst, leibliche Mutter oder nicht –, sie war vor allem eins: Mom. Wer konnte sagen, wann ich das nächste Mal die Gelegenheit bekommen würde, sie oder meinen Dad in den Arm zu nehmen? Ich musste jede Sekunde mit ihnen auskosten.
»Alles in Ordnung, Liebes?«, fragte sie, als ich mich von ihr löste und zur Tür ging. Sie wirkte besorgt.
»Aber klar doch«, antwortete ich mit dem strahlendsten Lächeln, das ich zustande brachte. »Was soll denn sein?« Ich winkte ihr zum Abschied.
Ich schlüpfte auf den Beifahrersitz von Michaels Prius. Als ich mich zu ihm hinüberbeugte, um ihn zu küssen, fielen mir die dunklen Ringe unter seinen Augen auf. Er war ganz blass im Gesicht. Ich hatte ihn noch nie so erschöpft gesehen.
Wir hatten schon viele schlaflose Nächte zusammen verbracht, aber die waren nichts gegen die letzten zwei. Wir waren an entspannte Ausflüge gewohnt, gefolgt von langen Stunden, in denen wir einfach nur dalagen und uns in den Armen hielten. Das war etwas ganz anderes als Rafes unablässiger körperlicher Drill. Mit der Aussicht auf eine weitere Runde heute Abend …
Meine Versuche, ein Gespräch anzufangen – ein ganz harmloses, so wie Rafe es uns für die Zeit außerhalb unserer geschützten Wiese geraten hatte –, quittierte er mit wenig mehr als einem unartikulierten Brummeln, so dass ich es nach ein paar Minuten aufgab. Wir hatten das ganze Wochenende keine Gelegenheit gehabt, uns zu unterhalten, und ich vermutete, dass er immer noch sauer war, weil ich ihm Rafe einfach so vor die Nase gesetzt hatte. Obwohl er streng genommen natürlich überhaupt kein Recht hatte, sauer zu sein.
Normalerweise hätte mich seine abweisende Art gekränkt, aber ich war so müde, dass es mir egal war. In gewisser Weise war es sogar eine Erleichterung, auf der Fahrt nicht reden zu müssen. Außerdem stellte ich fest, dass ich mich in Michaels Gegenwart trotz seiner Grummeligkeit sofort ruhiger fühlte.
Mühsam
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