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Jenseits des Mondes

Jenseits des Mondes

Titel: Jenseits des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Terrell
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abrupt los.
    Rafe nahm Michaels kleine Showeinlage mit dem ihm eigenen Gleichmut hin.
    »Heute Nacht werden wir uns dem Gebrauch von Waffen widmen«, verkündete er und machte eine ausladende Armbewegung. »Zu diesem Zweck habe ich eine Auswahl verschiedener Waffen mitgebracht. Nur das, was sich auf die Schnelle auftreiben ließ.«
    Wir betrachteten die Ansammlung aus blinkenden Äxten, Messern, Speeren und Schwertern, die zwischen Heidekraut und Herbstblumen im grünen Gras lagen. Daneben gab es noch eine ganze Vielzahl von Geräten, die ich noch nie im Leben gesehen hatte. Rafe musste ein etwas verqueres Verständnis des menschlichen Alltags haben, wenn er glaubte, solche Mordinstrumente würden sich »auf die Schnelle auftreiben« lassen.
    »Wählt eine Waffe aus und folgt mir. Ihr werdet in der Luft kämpfen müssen, also sollten wir dort auch üben.«
    Ich schnappte mir ein Schwert mit vergoldetem Griff und mittelgroßer Klinge – es schien mir aus dem furchteinflößenden Arsenal die handlichste Waffe zu sein – und schwang mich in die kalte Nachtluft empor. Michael und ich blieben neben Rafe in der Luft stehen, wo dieser uns einige grundlegende Schwertkampfmanöver wie Hiebe, Stiche und Paraden vorführte. Dann zeigte er uns einige Tricks, wie wir den Gefallenen blutende Wunden zufügen konnten. Wenn Rafe es vormachte, sah alles kinderleicht aus, aber ich wusste, dass der Eindruck täuschte.
    »Euer allererstes Ziel ist es, sie zu verletzen. Vergesst niemals, dass ihr zuerst das Blut der Gefallenen trinken müsst, bevor ihr auch nur darüber nachdenken dürft, sie zu töten. Ihre Wunden heilen in Sekundenschnelle, und wenn es euch nicht gelingt, sie außer Gefecht zu setzen, habt ihr es mit einem sehr mächtigen, sehr aufgebrachten Gegner zu tun.«
    Bei Rafes Ausführungen kamen mir spontan meine eigenen Selbstheilungskräfte in den Sinn. Ich hatte mich von den Strapazen der letzten Nacht erstaunlich rasch erholt. »Heilen unsere Wunden auch so schnell?«
    »Schneller als die eines normalen Menschen, aber nicht so schnell wie die eines Engels. Denkt daran, was ich euch gestern gesagt habe. Ihr seid nur halb so stark wie sie.«
    »Heißt das, dass wir körperlich weniger verwundbar sind als Menschen?« Im Kopf ging ich meine Krankengeschichte durch. Ich hatte fast nie irgendwelche Infektionen und konnte mich auch an keine schwerwiegende Verletzung erinnern, nicht einmal die üblichen Schürfwunden, Schnitte oder Knochenbrüche, die fast jedes Kind hatte.
    »Ja.« Rafe verstand, worauf ich mit meinen Fragen hinauswollte. »Aber ihr seid nicht unsterblich, Ellspeth. Nur echte Engel leben ewig.«
    »Gefallene und richtige Engel so wie du?«
    »Der einzige Unterschied zwischen den Gefallenen und uns ist, dass es ihnen nicht möglich ist, den Himmel zu betreten, ihre wahre Heimat«, lautete Rafes Antwort. Dann war der Theorieteil auch schon wieder vorbei. Rafe nickte Michael zu. »Du zuerst. Glaubst du, du kannst es mir nachmachen?«
    Michael grinste siegessicher. »Ich werd’s versuchen.«
    Ich sah zu, wie Michael Rafes Bewegungen fast aufs Haar genau nachahmte. Obwohl mir seine Überheblichkeit, vor allem gegenüber Rafe, auf die Nerven ging, musste ich zugeben, dass er nicht ohne Grund so selbstbewusst war. Er hatte den Dreh wirklich raus.
    Nachdem Michael seine Übung beendet hatte, kam er wieder an unsere Seite geflogen. Trotz der Kälte waren seine Wangen von der Anstrengung gerötet, und er wirkte ganz euphorisch, weil er sich so gut geschlagen hatte.
    Rafe drehte sich zu mir um und sagte die Worte, vor denen ich mich die ganzen letzten Minuten gefürchtet hatte: »Und jetzt du, Ellspeth.«
    Ich gab mir Mühe, ehrlich. Aber die Klinge lag bleischwer in meiner Hand, und meine Hiebe und Paraden hatten ungefähr dieselbe Wirkung, als würde ich mit einer zerkochten Nudel fechten. Es war so peinlich, vor Rafe und Michael, zwei der geschicktesten Wesen überhaupt, das volle Ausmaß meiner Unfähigkeit zu offenbaren.
    Mein Unmut wuchs, als ich merkte, dass sich Michael über mein Versagen zu freuen schien. Er sah richtiggehend zufrieden aus, weil er mich im Training ausgestochen hatte. Hatte Ezekiel nicht gesagt, Michael solle wie »der Ritter an der Seite seiner Dame« stehen? Im Moment war bei ihm von Ritterlichkeit nicht viel zu spüren.
    Zum Glück kam Rafe mir zu Hilfe. Wie schon in der Nacht zuvor, korrigierte er meine Fechthaltung, justierte meinen Griff und zeigte mir, wie man die einzelnen Bewegungen

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