Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
Kommandanten hinweg auf einen der Hügel hinauf, auf dem die Derwische ebenfalls eine befestigte Stellung errichtet hatten. Während die Briten das Lager aufgeschlagen und provisorisch gesichert hatten, war die Stimmung gut gewesen, locker und leicht aufgekratzt, wie beim Zeltlager einer Jungenschule, undunter Gelächter und Späßen hatten die Männer ihre Waffen gereinigt und poliert und überprüft. Doch der erste Schuss, der am Abend fiel, hatte die heitere Stimmung mit einem Schlag zunichtegemacht. Bis in die Nacht hinein waren sie beschossen worden, und es hatte erste Opfer gegeben. Ihre Antwort in Form eines Bombardements durch die Artillerie hatte bis Einbruch der Dunkelheit für Ruhe gesorgt, doch sobald im Lager hier unten auch nur ein Licht angezündet worden war, hob das Feuer erneut an. Eine Operation an einem der Kameltreiber im Feldlazarett musste abgebrochen und auf den nächsten Tag verschoben werden, weil der Schein der Laterne einen erneuten Beschuss aus den feindlichen Stellungen heraufbeschworen hatte. Eine lange Nacht war es gewesen, finster und mondlos; eine entsetzlich stille Nacht, nur untermalt durch das unaufhörliche dumpfe Schlagen der Buschtrommeln in der Ferne, thung-thung , thung-thung-thung , unwirklich und unheimlich zugleich. Wie der gleichmäßige Herzschlag eines wilden Tieres, das auf der Lauer lag. Ihre müden Körper hatten nach dem kräftezehrenden Ritt der vergangenen Tage ihr Recht auf Schlaf eingefordert; ein Schlaf, der schwarz und bleischwer war und immer nur bis zur nächsten Feuersalve andauerte.
Man hatte mit einem Angriff bei Tagesanbruch gerechnet, doch dieser Angriff war bislang ausgeblieben; nur eine kleine Schar Derwische war johlend von einem der Hügel hinabgerannt und sogleich von einem Schützenverband niedergemäht worden. Allein das beständige Aufflackern des Gewehrfeuers zählte die ersten Stunden des Tages ab.
Jeremys Blick wanderte weiter über das Lager, über die in ausgehobenen Erdkuhlen aneinandergedrängt kauernden Kamele, zu Stephen und Simon, die schweigend und mit angespannten Mienen etwas abseits saßen. Dann erfasste Jeremys Blick einen seiner Männer, der gefährlich aufrecht daherschritt.
»Private Hanson! Runter!«, brüllte Jeremy und sprang auf, spurtete gebückt los, um ihn zu packen und zu Boden zu stoßen. Doch er war zu langsam. Der Soldat hatte sich zwar noch geduckt, aber zu spät. Jeremy hörte die Kugel singen, wie sie knapp an ihm vorbeiflog, Private Hansons Brust durchschoss und schließlich weit hinten in einem aufgestapelten Sack einschlug. Jeremy schnellte vor und fing den zusammensinkenden Soldaten auf, legte ihn langsam auf den Boden und zog den Kopf ein, als die nächste Kugel über ihn hinwegsauste und noch eine. Gläsern starr waren die blauen Augen des Soldaten an den Himmel gerichtet. Sechsundzwanzig, siebenundzwanzig mochte er gewesen sein, so alt wie Jeremy selbst. Der Erste seiner Männer, den er in diesem Feldzug verloren hatte, und Jeremy spürte, dass er nicht der Letzte sein würde. Nicht heute, nicht hier in Abu Klea. Seine Hand legte sich auf das noch warme Gesicht des Mannes, und er schloss ihm die Lider.
Das Signalhorn zerfetzte die angespannte Stille über dem Lager.
Es war neun Uhr morgens, und sie machten sich zum Angriff bereit.
Auf die Minute genau eine Stunde dauerte es, bis sich das Karree vor der zariba formiert hatte und sich in Bewegung setzte, hinein in das Tal von Abu Klea.
Ein langsamer Marsch war es, fort von dem ausgetretenen Pfad, der durch das Gelände führte, hin zu einem der Abhänge auf der rechten Seite. Kugeln prasselten von den Bergwänden auf die Soldaten nieder, schlugen Lücken in die Reihen. »Mann am Boden«, ertönte es immer wieder, und die Sanitäter liefen los, sammelten die Verwundeten auf und luden sie auf die Kamele. Schritt-und-noch-ein-Schritt. Schritt-und-noch-ein-Schritt. Schritt-und-noch-ein-Schritt. Langsam, so langsam.
Wie eine Begräbnisprozession , schoss es Stephen durch den Kopf, und er schluckte hart. Sein Platz war fast am Ende der Formation, vor Royston und hinter den anderen, zwischen ihren Soldaten des Royal Sussex, an der äußersten rechten Ecke des Karrees.
Als der Kugelhagel von allen Seiten immer heftiger wurde, hielt das Karree an. Von den Bergrücken und Hängen, aus dem Gebüsch und den Baumkronen stürmten die ersten Horden von Derwischen durch das Tal auf die Soldaten zu. Die Formation richtete ihre vier Seiten aus; die vorderen Reihen
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