Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
an. »Muntert es dich auf, dass ich vielleicht jemanden gefunden habe, der uns in den Sudan bringen könnte?«
Sie liefen durch die schwach beleuchtete, nächtliche Gasse, die kaum weniger belebt war als am Tag, und bogen in eine weitere Gasse ein, vorbei an noch immer geöffneten Lädchen, in nachlässiger Manier eingerichtet und ausgestattet, vor denen lachendund in schnellem Zungenschlag schwatzende Männergrüppchen standen, die ihnen neugierige Blicke zuwarfen. Grace war froh, dass sie sich das lockere Gewand übergeworfen hatte, das sie vor ein paar Tagen an einem Büdchen um die Ecke erstanden hatte und das ihre Gestalt formlos machte, und dass ein ebenfalls dort erworbener brauner Schal ihr Haar bedeckte – ihr helles Haar, das hier in Cairo wesentlich mehr Aufsehen erregte als zu Hause in England.
»Weißt du etwas Näheres über diesen Mann?«, wollte Grace wissen, als sie in die nächste Gasse abbogen.
»Nur dass er Abbas heißt und wie er ungefähr aussieht. Angeblich kennt er den Norden des Sudan wie seine Westentasche«, erwiderte Leonard, während er den Blick aufmerksam umherschweifen ließ und Grace fest an der Hand hielt. »Es hörte sich so an, als wenn ihn regelmäßig ziemlich krumme Geschäfte dort hinunterführen würden. Der Rest ging allerdings in einem Wirrwarr aus Englisch, Französisch und Arabisch verloren. Oh – und er spricht wohl sehr gut Englisch. Ich verspüre nämlich wenig Neigung, eine solche Reise zu unternehmen, wenn wir dabei auf meine dürftigen Arabischkenntnisse und auf wildes Gestikulieren angewiesen sind. – Hier muss es sein.«
Laternenschimmer erfüllte einen Raum hinter zwei großen viereckigen, bis zum Boden hinabreichenden Öffnungen in der Hauswand, über denen aufgemalte arabische Schriftzeichen prangten. Lebhaft diskutierende Männer saßen auf Hockern an kleinen Holztischen vor metallenen Kännchen mit langem Schnabel, aus denen sie immer wieder ihre Kaffeetässchen füllten. Bläulich waberte der Tabakrauch über ihren Köpfen, bis auf die Gasse hinaus, auf die man weitere Tische und Hocker gestellt hatte. Ein Mann in einem weißen Gewand, den breiten stiernackigen Rücken ihnen zugekehrt, saß allein am letzten Tisch in der Gasse, ein ebenfalls weißes, eng anliegendes Käppchen auf dem kahl rasierten Kopf.
Leonard zog Grace in einem Bogen um den Tisch herum undtrat von der Seite zu dem Mann hin. »As-salamu alaikum« , sprach er ihn an und wechselte dann ins Englische. »Bist du Abbas?«
Der Mann sah nicht auf, sondern griff mit seiner bärengleichen Pranke zu dem weißen Tässchen mit den farbigen geometrischen Mustern und schlürfte geräuschvoll seinen Mokka. Langsam stellte er die Tasse wieder ab.
»Wer will das wissen?«, kam es in einem grollenden Bass von ihm. Sein Englisch war tatsächlich hervorragend, wenn auch mit einem kehligen, harten Akzent.
Leonard bedeutete Grace, sie solle sich auf einen der freien Hocker an den Tisch setzen, und ließ sich selbst gegenüber nieder, zog sein Zigarettenetui aus der Tasche seines Sakkos, ließ es aufschnappen und legte es mitten auf den Tisch. Er nahm sich selbst eine und wartete, bis der Mann sich ebenfalls bedient hatte, gab ihnen beiden Feuer und schlug die Beine übereinander. »Wir wollen in den Sudan«, sagte er leise und blies den Rauch aus. »Kannst du uns hinbringen?«
Grace musterte den Mann, der offenbar tatsächlich Abbas war, während er mit weiterhin gesenktem Blick an seiner Zigarette zog. Ein wuchtiger Schädel steckte auf einem scheinbar halslosen Torso mit breiten Schultern. Seine Hautfarbe war im Laternenlicht nicht näher zu bestimmen, irgendwo zwischen Schwarz und Braun, und obwohl das breite, bartlose Gesicht mit der kräftigen Nase und den vollen Lippen keine Anzeichen des Alters aufwies, schien es auch nicht mehr ganz jung zu sein; genauer ließ es sich nicht schätzen.
»Wohin im Sudan?«, wollte er wissen und nahm einen weiteren Zug von der Zigarette.
Leonard neigte sich vor. »Nach Omdurman«, flüsterte er.
Endlich hob Abbas die Augen an, die unter der stark hervortretenden Brauenpartie tief im Gesicht vergraben lagen und die aussahen wie schwarz glänzende Oliven. Erst musterte er Leonard, dann Grace. Während die Blicke der übrigen Männer im Kaffeehaus an ihr abprallten, war ihr der Blick, mit dem Abbassie betrachtete, unangenehm. Verstohlen zog sie das Tuch tiefer ins Gesicht, und als sie eine Haarsträhne ertastete, die sich gelöst und unter dem Rand
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