Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
mittlerweile.«
Der andere Mundwinkel Adas hob sich. »Steht dir aber gut. Auch«, ihr Zeigefinger tippte auf ihre Wange, »auch der Bart.«
»Danke.« Roystons Hand fuhr über den sorgfältig gestutzten Bart, an den er sich noch nicht ganz gewöhnt hatte.
»Wie geht es deiner Mutter?«
Roystons Mund verzog sich halb traurig, halb spöttisch. »Nichts auf dieser Welt vermag eine Lady Evelyn dauerhaft in die Knie zu zwingen.« Was eine geschönte Zusammenfassung der Tränen, der Wehklagen seiner Mutter nach dem Freitod des alten Earls darstellte, die stets in demselben Ausruf gipfelten: Wie konnte er mir das nur antun! Es war Royston eine Genugtuung gewesen, als neues Oberhaupt der Familie Ashcombe Roderick seinen Segen zur Verlobung mit Helen Dunmore zu erteilen, was Lady Evelyn an den Rand eines Ohnmachtsanfalls gebracht hatte, woraufhin sie sich mehrere Tage lang mit einer Migräne in ihr Zimmer zurückzog.
Ada nickte, wirkte dabei aber zerstreut. Royston zögerte und deutete dann auf die Klavierbank. »Darf ich?«
»Sicher.« Ada rutschte ein Stück zur Seite. Royston schlüpfte aus seinem Mantel, legte ihn oben auf dem Piano ab und nahm Platz. Er lockerte seine Finger und schlug dann die ersten Takte desselben Stücks an, das Ada zuvor gespielt hatte. Aus den Augenwinkeln sah er einen Funken in Adas Augen aufglimmen, und gleich darauf fiel sie in sein Spiel mit ein.
Fasziniert beobachtete sie seine großen, kräftigen Hände, die so geschickt, beinahe zärtlich die Tasten anschlugen. Mühelos konnten seine Finger bei den Akkorden die Tasten überspannen, bei denen Adas kleine Hände sich mit Schnelligkeit behelfen mussten, und verwundert sah sie zu, wie sein Körper in kaum sichtbaren Bewegungen mit der Musik mitging und wie etwas Andächtiges auf Roystons Zügen aufschien.
»Ich wusste nicht, dass du dir etwas aus Musik machst«, sagte sie, während ihrer beider Hände in harmonischer Unterschiedlichkeit die schmeichlerische, mehrstimmige Melodie aus dem Leib des Pianos aufperlen ließen.
Royston lachte leise. »Meine Mutter war der Ansicht, dass es einem Gentleman zwar gut ansteht, Musik zu genießen, aber nicht, sie selbst hervorzubringen. Also habe ich mich klammheimlich während der Musikstunden meiner Schwestern dazugesetzt und später nur gespielt, wenn Lady E. gerade nicht da war.« Ein Anflug wehmütiger, aber auch glücklicher Nostalgie glitt über sein Gesicht. »Ich kann mich noch lebhaft daran erinnern, wie wir so manchen Abend mit einer hineingeschmuggelten Flasche und gleichfalls verbotenen Zigaretten am Piano inSandhurst verbrachten. Ich hab gespielt, und gemeinsam haben wir getrunken und gelacht und geraucht und fürchterlich schief irgendwelche Gassenhauer gegrölt. Und Simon hat ...« Er verstummte. Ada hatte ihr Spiel unterbrochen und mit gesenktem Kopf die Hände in den Schoß gelegt. Royston verwünschte seine Gedankenlosigkeit, kam sich dumm und linkisch vor. »Entschuldige, Ads. Ich wollte nicht ...«
Mit einem Kloß im Hals sah er, wie sie aufstand, um die Klavierbank herumging, als wollte sie das Zimmer verlassen, dann jedoch stehen blieb.
»Schon gut«, flüsterte sie mit bebender Stimme. »Schweigen ... Schweigen bringt ihn mir auch nicht wieder.« Unschlüssig machte sie einen Schritt vor und wieder einen zurück, wandte sich halb ab, dann wieder zu Royston um. »Magst ... magst du mich vielleicht auf einem Spaziergang begleiten?«
Eine Mappe an die Brust gepresst, wanderte Ada zwei Wochen später durch den herbstbunten Garten, aus den kupferfarbenen Lichtbahnen des späten Nachmittags in die schweren rauchblauen Schatten dahinter. Unbeirrt behielt sie die Rotunde am Rande des Eichenwäldchens im Blick, auch wenn mit jedem Schritt, den sie darauf zumachte, die Bangigkeit in ihr wuchs. Vor der ersten Stufe blieb sie stehen, atmete tief durch und sprach sich Mut zu, bevor sie dann tapfer die Stufen hinaufstieg und sich am äußersten Rand der Bank niederließ.
Seit Simons Tod war sie nicht mehr hier gewesen. Hier, wo sie sich im Schutze der Dunkelheit so oft hingestohlen hatten, um sich zu küssen und einander Liebkosungen zuzuflüstern. Damals, in jenem Sommer. Ada, meine Liebste. Meine süße, süße Ada.
Ada rieb sich mit dem Ärmel des Mantels über die tränennassen Augen. Die zwei Wochen in London mit den Digby-Jones während des vergangenen Sommers hatten ihr gutgetan. Geborgen hatte sie sich gefühlt und verstanden und getröstet, im Kreise dieser Familie, die
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