Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
»Weiter geht’s mit dem Zusammenspiel von Kavallerie, Artillerie und Infanterie ...«
Viel zu schnell flogen die Tage dahin. Die letzten Tage, um noch so viel wie möglich vom Prüfungsstoff aufzusaugen, und die letzten Nächte zwischen dem bleischweren Schlaf der Erschöpfung und angespanntem Wachliegen. Bis der eine Morgen kam, an dem die Kadetten, in Kompanien aufgeteilt, die Prüfungsräume betraten und die Plätze einnahmen, die ihnen zugelost worden waren. Ihr Schreibzeug, ein zur Verfügung gestelltes Armeehandbuch, Papierbögen mit ihrer Nummer und schließlich die Aufgabenblätter waren ihre Ausrüstung, und Schlag zehn Uhr stürzten sie sich in die Schlacht, unter den scharfen Augen von Ausbildern und Offizieren, die darüber wachten, dass niemand betrog oder zum Nebenmann hinüberschielte, dass niemand sprach und niemand den Raum verließ, bis Schlag eins die Blätter eingesammelt wurden. Von zehn bis eins, von zwei bis fünf – Stille. Nur das Kratzen der Federn auf dem Papier war zu hören, das Schleifen der Bleistiftspitzen entlang der Linealkante; hastiges Kritzeln, das Rubbeln des Radiergummis. Vereinzeltes Hüsteln, tiefes Aufschnaufen, knackende Fingergelenke. Und unter allem das Ticken der Uhren, das ihnen ihre Schicksalsstunden wegzählte, für den einen qualvoll langsam, den anderen beängstigend schnell.
Wie eine Explosion erschütterte das unvermittelt aufbrandende Stimmengewirr die würdevollen Mauern des Colleges, als die Kadetten sich in die Korridore ergossen, begierig, ihre Antworten mit denen der anderen zu vergleichen. Einige wenige blieben stumm, abgekapselt von den anderen durch lähmendes Entsetzen und das Grauen, womöglich auch in der nächsten Klausur zu versagen. Den Rest des Tages und die halbe Nacht glich Sandhurst einem summenden Bienenstock, ehe am nächsten Morgen, Schlag zehn, erneut Stille einkehrte.
Und dann war es mit einem Mal vorbei. Die letzten Bögen wurden eingesammelt, nach den Nummern der Kadetten sortiert und wie alle anderen Stapel zuvor in das Zimmer des stellvertretenden Kommandanten getragen, dort überprüft, in Packen gebündelt und versiegelt und nach London überbracht.
Der unmittelbar danach aufschießende Übermut, die seufzende Erleichterung, es endlich hinter sich zu haben, hielten sich mit einem Gefühl des Ausgelaugtseins die Waage, und erst allmählich sickerte in die müden, wie leer gefegten Köpfe die Erkenntnis, dass dieses Jahr, das mit sorgfältig ausgearbeiteten Bewerbungen, mit dem Schwitzen über der Eingangsprüfung und dem Jubel über die Aufnahme ins College begonnen hatte, sich nun fast dem Ende zuneigte. Die Würfel waren gefallen. Nun gab es nichts mehr zu tun, als darauf zu warten, wer die meisten Punkte aufzuweisen hatte und unter welcher Regimentsflagge ihr Leben nun erst wirklich beginnen würde. Es waren Tage, die trotz militärischer Übungsstunden, jedoch ohne den theoretischen Unterricht plötzlich leer waren; Tage, an denen der Füller des stellvertretenden Kommandanten erstaunlich leicht die Unterschrift unter die Anträge auf Ausgang setzte.
Es waren die Tage um Mittsommer, an denen das Licht wirkte wie frisch poliert und das Gras hoch war und glänzte wie Glas und die rosigen Märzenblüten der Lärchen in Zapfen aushärteten. Lange, leichtherzige Tage waren es und kurze Nächte, in denen der rotlohende Widerschein der Johannisfeuer die Dunkelheit erfüllte.
Und es war an einem dieser Tage, als Grace Norbury ihren einundzwanzigsten Geburtstag feierte.
8
Der Innenhof von Shamley Green hallte von vergnügten Ausrufen und Lachen wider. Die jungen Leute – die Mädchen in hellen, leichten Sommerkleidern, die jungen Männer leger in Reiterhosen, Stiefeln und hemdsärmelig – rangelten darum, wer wo im offenen Wagen sitzen sollte; mit Ausnahme von Cecily und Tommy, die auf ihren Pferden von Givons Grove herübergekommen waren und nebenherreiten würden.
»Bis heute Abend«, rief Grace ihren Eltern zu und stieg in den Tilbury, auf den sogleich auch Leonard aufsprang. Auf ein Zungenschnalzen von ihr hin setzte sich der plumpe Grauschimmel in Bewegung, dicht gefolgt von Jack und Jill, deren Zügel Stephen in der Hand hatte, neben sich auf dem Kutschbock eine glückstrahlende Becky, hinter sich Ada und Simon, Royston und Jeremy. Zwischen deren Füßen hockte ein aufgeregt winselnder Gladdy und reckte die bebende Schnauze in die Luft. Hufgeklapper und Räderknirschen, Gekicher und fröhliche Stimmen entfernten sich
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