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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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und Reisen und voller junger, wissbegieriger Mädchen, die sie behutsam auf ihren ersten Schritten in ein eigenes Leben anleitete, hatte Ada auf ihrer gemeinsamen Reise so beeindruckt, dass sie ihr nacheifern wollte.
    Aufmerksam hörte Grace ihr zu, durchkämmte im Gehen mit den Fingern hoch aufragende Gräser, rupfte einzelne Ähren vom Wegesrand ab und zupfte gedankenvoll die blassgoldenen Körner heraus.
    »Wenn du magst«, sagte sie schließlich, »spreche ich mit Vater und versuche ihn umzustimmen.«
    Ada blieb stehen. Die Hände zu Fäusten geballt, zog sie die Unterlippe zwischen die Zähne und dachte nach. »Das ist lieb von dir, Grace. Aber ...« Ihr tiefer Atemzug lief als ein Zittern durch ihre schmale Gestalt. »Aber ich glaube, das muss ich selbst tun. – Wenn ich auch noch nicht weiß, wie ich das anstellen soll.« Das kleine Lächeln, das sich auf ihrem Gesicht andeutete, erstarb wieder, und Ada runzelte nachdenklich die Stirn. »Was ich dich schon länger fragen wollte, Grace ... Hattest du nie den Wunsch, mehr aus deinem Leben zu machen, als eines Tages nur zu heiraten?«
    Erstaunt sah Grace ihre kleine Schwester an. »Nein. Warum auch?«
    Nun war es an Ada, verblüfft dreinzublicken. »Hattest du nie den Drang, das hier«, in einer großen Geste zeigte sie auf die in allen Farben des Regenbogens blühende Sommerwiese, auf den Wald und auf das Dickicht entlang des Flusses, »hinter dir zu lassen und einen ganz anderen Lebensweg einzuschlagen?«
    Grace senkte den Blick auf den langen Halm, den sie zwischen den Fingern drehte. »Du meinst – ein anderes Leben zu führen als Mama?«
    »Ja! Du hättest doch mit Leichtigkeit nach deinem Abschluss am Bedford noch das Examen an der Universität machen können!«
    Seit drei Jahren war es zumindest theoretisch möglich, dass die Absolventinnen des Bedford am College weiterführende Kurse besuchten und dann die Prüfungen zum Bachelor und zum Master an der Universität von London ablegten. Ein Angebot, das anfangs so gut wie keines der Mädchen, keine der jungen Frauen in Anspruch genommen hatte; erst jetzt begannen sich einige wenige dafür zu entscheiden. Grace hatte durchaus mit dem Gedanken gespielt, schließlich hatte sie eine schöne Zeit am Bedford verbracht. Sie lernte gern und leicht, hatte das Leben in der Gemeinschaft von Schülerinnen, Lehrerinnen und Mentorinnen gemocht. Aber sie wusste auch, dass man als Frau mit einem solchen Examen nicht besonders viel anfangen konnte – zumindest noch nicht. Und vor allem nicht in den Kreisen, zu denen die Norburys gehörten.
    »Ich lasse dir sehr gern den Vortritt, Schwesterchen«, neckte sie Ada, kitzelte sie mit der Spitze des Grashalms in der Halsbeuge, sodass Ada aufkicherte. »Aber beeil dich besser mit deinem Lehrerinnen-Dasein! Damit ist’s nämlich vorbei, sobald Simon um deine Hand anhält!«
    Die Schwestern brachen in Lachen aus, doch es geriet flach und ebbte rasch ab. Keine der wenigen Lehrerinnen, keine der Mentorinnen des Bedford war verheiratet, und sobald eine von ihnen den Bund fürs Leben einzugehen gedachte, trat sie umgehend von ihrem Posten zurück. Einen Beruf auszuüben und Ehefrau zu sein und Mutter, das waren zwei Dinge, die als unvereinbar galten, und es war ein ungeschriebenes gesellschaftliches Gesetz, dass Letzteres immer vorzuziehen war.
    Auf Adas Gesicht, in dem sich stets jeder Gedanke, jede Regung spiegelte wie in einem tiefen, stillen See jede über den Himmel hinwegziehende Wolke, zeichnete sich der Zwiespalt ab, in den Simon sie gestürzt hatte.
    »So ein Leben, wie Mama es hat, Ads«, flüsterte Grace, »genau so ein Leben wünsch ich mir. Einen Mann, den ich liebe und der mich liebt.« Jeremy. »Ein Haus voller Bücher. Einen Garten, vielleicht sogar ein kleines Anwesen. Und Kinder, viele Kinder.« Jeremys Kinder. Sie zog eine Schulter hoch; eine Geste, die verlegen wirkte und gerade deshalb an ihr beinahe verstörend. »Ich kann nicht alles haben, und wenn ich mich schon entscheiden muss, dann entscheide ich mich dafür.«
    Lange sahen die Schwestern sich an, als wären sie sich zum ersten Mal ihrer Gegensätzlichkeit bewusst. Grace, die in kleinen Dingen so ungestüm und wild und unerschrocken sein konnte und vom Leben doch nichts anderes ersehnte als das, was ihr ohnehin vorherbestimmt war. Und die brave, schüchterne Ada,die voll neuer Eindrücke und Gedanken aus der Fremde heimgekehrt war und die sich nun daranmachte, ihre kleine Welt aus den Angeln zu

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