Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
dem Fächer in der anderen Luft zuwedelte. »Gewöhn dich schon mal dran, dass sie bald zu deiner Verwandtschaft gehören!«
»Diese Vorstellung macht dir natürlich Spaß, was?« Leonard grinste und trat vor sie hin.
»Mhhh«, machte Grace und verzog das Gesicht zu einer übertrieben grüblerischen Miene. »Ja«, sagte sie schließlich nickend, »ja, das tut es!«
Ihr einstimmiges Lachen ebbte ab, ohne dass einer von beiden wieder das Wort ergriff. Ein eigentümliches, beklommenes Schweigen baute sich zwischen ihnen auf. Grace nippte an ihrem Glas, ließ die Beine baumeln und schaute in den von den Schattenrissen umherflanierender Paare belebten Garten hinab.
Schließlich hielt sie es nicht länger aus, sie musste ihrem Herzen Luft machen. »Len ... Zwischen uns ist doch alles gut, oder nicht?«
Er sah sie über den Rand seines Glases hinweg an, trank einen Schluck und wandte dann die Augen ab. »Sicher. Warum fragst du?«
»Ich ...« Sie atmete tief durch und schwenkte den Champagner im Glas. »Ich hatte in den letzten Wochen den Eindruck, du gehst mir aus dem Weg.«
Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Du warst ja auch anderweitig in Anspruch genommen ...«
Grace’ Wangen wurden noch heißer, als sie es ohnehin schon waren. Es wäre töricht gewesen, anzunehmen, dass es Leonard hätte verborgen bleiben können, wie sie und Jeremy zueinander standen – ausgerechnet Leonard, der sie so gut kannte wie kaum jemand sonst. Und trotzdem war es ihr unangenehm, dass er sie so vollkommen durchschaut hatte. Leonard war in allem das Gegenteil von Jeremy, doch vor allem war Leonard ihr engster Freund, wie ein Bruder, wie ein zweites, ein männliches Selbst. Sie wollte nicht zwischen ihm und Jeremy wählen müssen.
»Unsere Freundschaft bedeutet mir sehr viel, Len«, flüsterte sie, ohne ihn anzusehen.
»Mir auch, Grace. Und von meiner Seite aus wird sich daran niemals etwas ändern.«
»Von meiner Seite aus auch nicht.« Sie hob das Gesicht zu ihm an und lächelte, ein Lächeln, dessen Erwiderung er ihr schuldig blieb.
Stattdessen runzelte er die Stirn und sagte mit einem für ihn ungewohnten Ernst: »Grace, ich will mich nicht einmischen, aber ...« Er verstummte und schien seine Worte noch einmal neu zu überdenken. »Wie gut kennst du Jeremy wirklich? Hast du dich das schon einmal gefragt?«
Grace zuckte zusammen. Leonard hatte den Finger in eine offene Wunde gelegt. Sie hatte durchaus noch oft an Mrs Danvers gedacht und daran, dass Jeremy nie von ihr erzählt hatte. Es gibt so einiges, das du über mich nicht weißt, Grace.
»Gibt es denn etwas, das ich deiner Meinung nach wissen sollte?«
Leonard trat noch näher zu ihr hin und sah ihr in die Augen. »Du solltest wissen, dass ich immer für dich da sein werde, wenn du mich brauchst. Ganz gleich, was auch geschehen mag.«
Grace fühlte sich unbehaglich, und sie bog unwillkürlich den Kopf zurück. »Du hast meine Frage nicht beantwortet!«
Leonard lachte. »Ach was, mit Jeremy wird schon alles stimmen! Sieh’s mir nach, wenn ich mich aufführe wie ein überfürsorglicher großer Bruder! Muss wohl daran liegen, dass ich mein Schwesterchen bald verheiratet weiß.« Er stellte sein Glas auf der Brüstung ab und streckte Grace beide Hände hin. »Komm, genug ausgeruht – lass uns tanzen. Die Nacht ist schließlich noch jung!«
Grace stellte ihr Glas neben seines, klappte ihren Fächer zu und ließ ihn an seinem Band vom Handgelenk baumeln, verharrte aber auf der Balustrade, die Hände unter die Oberschenkel geschoben und den Kopf in nachdenklicher Haltung gesenkt.
»Grace.« Leonard nahm ihr Gesicht in seine Hände. »Gracie. Ich will keinen Keil zwischen dich und Jeremy treiben. Er ist mein Freund. Ihr seid beide meine Freunde. Ich will ...« Seine Stimme wurde leiser, geradezu zärtlich. »Ich will einfach nur, dass du glücklich bist.«
Grace sah ihm fest in die Augen, und ebenso fest klang es, als sie erwiderte: »Das bin ich, Len.«
Ihre Stimmen, ihre Schritte auf den Steinplatten entfernten sich und wurden gleich darauf verschluckt von der Musik, die aus dem Ballsaal herausdrang. Unterhalb der Terrasse kam Bewegung in zwei bislang reglose Silhouetten.
»Scheint so, als wären wir dazu verdammt, unfreiwillige Lauscher zu sein«, seufzte Stephen und nestelte sein Zigarettenetui hervor.
»Scheint so«, stimmte Jeremy zu.
»Sollte uns zu denken geben«, murmelte Stephen, die Zigarette zwischen den Lippen, und gab erst Jeremy Feuer,
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