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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Land groß geworden, ohne etwas Provinzlerisches zu haben, fest verwurzelt in der kleinen, überschaubaren Welt, in der sie aufgewachsen war.
    »Könntest du dir überhaupt vorstellen, an einem anderen Ort zu leben?«
    Sie zog die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen. »Ich weiß es nicht. Das hängt vermutlich davon ab, wo genau und warum – und mit wem ...« Sie hatte es kaum ausgesprochen, als sie bemerkte, wie bedeutungsvoll das Ende des Satzes klang, und als sie Jeremy ansah, verriet ihr das Funkeln in seinen Augen, dass er es ebenso aufgefasst hatte.
    Grace biss sich auf die Unterlippe und gluckste in sich hinein, beinahe schon verlegen; sie machte einen schlenkernden Schritt zur Seite und dann einen wieder zu Jeremy hin, und unabsichtlich streifte ihre Schulter seinen Oberarm. »So sehr viel habe ich ja noch nicht gesehen von der Welt«, sprach sie schnell weiter. »Außer Surrey und London und die Gegend um Portsmouth. Oh, und in Italien war ich mit dreizehn, mit meiner Mutter und Ada. – Erinnerst du dich daran eigentlich noch, Ads?« Sie warf einen Blick zurück und blieb jäh stehen. »Ads?!« Von Ada und Simon war nichts mehr zu sehen »Ads? Simon? Ads!« Grace reckte sich, stellte sich auf die Zehenspitzen und blickte sich nach allen Seiten um. »Ich muss sie suchen gehen«, rief sie hastig und raffte den Rock ihres Sommerkleides, um loszulaufen.
    »Bleib hier!« Jeremy packte sie am Arm, fest, beinahe grob. »Simon wird sich schon untadelig benehmen!«
    »Das mag sein – aber wenn mein Vater davon erfahren sollte, dass die beiden allein herumgestreift sind, dann steht ihnen ein gewaltiger Krach bevor!«
    Jeremy grub seine Finger fester in ihren Arm. »Du bist nicht verantwortlich für Ada, Grace! Und auch nicht für den Frieden in eurem Haus! Deine Schwester ist alt genug, um selbst zu wissen, was sie tut. – Und außerdem«, seine Stimme senkte sich, klang noch rauer als sonst, »außerdem waren wir beide auch schon allein.«
    Der Klang seiner Worte beschwor die Kühle eines dichten Waldes herauf und den blauen Hauch eines Meeres aus Glockenblumen, und Grace hatte das Gefühl, der Boden unter ihren Füßen würde weich und nachgiebig.
    »Das ist etwas anderes«, flüsterte sie. »Mit uns.«
    »Bist du dir da so sicher?« Seine Hand strich an ihrem Arm hinab, umfasste ihr Handgelenk, hob es an, und beide sahen zu, wie sich seine Handfläche gegen die ihre legte und wie seine Finger sich mit den ihren verschränkten.
    Das Jackett rauschte zu Boden. Jeremy schlang den Arm um Grace’ Taille und zog sie an sich. Sie erschauerte, als sein Mund über ihre Schläfe strich, über ihre Wange und über ihren Mundwinkel, bis er ihre Lippen fand, die sich ungleich weicher anfühlten, als er es sich je hätte vorstellen können, und die schmeckten, wie feuchte Grashalme dufteten, und wie Klee.
    Ada und Simon liefen durch den südlichsten Teil des Gartens, der eigentümlicherweise »Wildnis« genannt wurde, obwohl akkurat getrimmte Hecken aus Buchsbaum und Eiben ihn durchzogen, um Reihen niedriger Hainbuchen zu einem Irrgarten angeordnet und an den Ecken von vier Pavillons aus weiß lackiertem Holz geziert.
    Ada blieb so unvermittelt stehen, dass Simon beinahe auf sie geprallt wäre, und ihm entfuhr ein überraschter Laut, als sie sich auf dem Absatz umdrehte, ihn am Revers seines Jacketts packte und stürmisch auf ihn einküsste.
    »Bist du verrückt«, japste er lachend zwischen zwei Atemzügen, »wenn uns jemand sieht!«
    »Hier kann uns niemand sehen«, schnurrte sie an seiner Wange. Mit einem raschen Seitenblick vergewisserte er sich, dass die Kronen der versetzt angeordneten Buchen tatsächlich vom Haus her keine Einblicke erlaubten; dann erwiderte er Adas Küsse, bis sie ihn von sich stieß, sodass er ins Taumeln geriet.
    »Ada«, rief er ihr hinterher, als sie weiterrannte und ihn über die Schulter anlachte, und mit einem glücklichen Flattern in der Magengrube lief er ihr nach.
    Es war ein Fangenspielen nach Adas Regeln, das sie durch die Gärten von Estreham führte. An der Orangerie und den blühenden Granatapfelbäumchen vorbei, durch den Kräutergarten und unter einem Gewölbe an weißen und flammenfarbenen Kletterrosen hindurch. Ada war es, die den Weg vorgab und dabei Haken schlug wie ein Hase und immer wieder unvermittelt stehen blieb, die Arme um Simon schlang und sein Gesicht mit Küssen bedeckte, sodass ihm schwindelig wurde, bevor sie weiterrannte und er ihr folgte. Über einen

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