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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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beständigen Brausen, Summen und Murmeln wurde, das die Tage und Nächte untermalte.
    Von allen Wendungen im Arabischen, die er sich angeeignet hatte, hatte es ihm ein Wort besonders angetan: al-Qahira, der arabische Name Cairos, der so klang und der sich in seinem Mund so anfühlte, wie er die Stadt empfand. Voller Magie. Von einer fremdartigen, kraftvollen und zeitlosen Schönheit, die nichts Sanftes, nichts Schmeichlerisches besaß und die ihn gerade deshalb in ihren Bann zog. Ähnlich wie Grace, und Grace’ Farben waren es, denen er in Cairo auf Schritt und Tritt begegnete, diese Nuancen von Sand und Getreide und Nussschalen im Stein der Stadt.
    Jeden Tag, den er auf Patrouille durch die Straßen, durch die Gassen unterwegs war, vorbei an Moscheen und Prachtbauten und Häuschen, unter überhängenden, von durchbrochenem Stein vergitterten Erkern hindurch, über die quirligen, bunten Basare mit den geflochtenen Körben voller Gewürze, dem ziselierten Messing und Silber, den Stoffen und bestickten Pantoffeln, bedauerte er es, dass er als Soldat hier war. An seiner Uniform schon von Weitem als Teil der verhassten fremden Macht zu erkennen, immer auf der Hut, immer einsatzbereit. Jeremy hätte es vorgezogen, ziellos umherzuschlendern, einzutauchen in das Gassengewirr, einfach darin unterzugehen und so viel wie möglich von Cairo mit allen seinen Sinnen in sich aufzunehmen. Und er hatte sich selbst das Versprechen gegeben, eines Tages hierher zurückzukehren. Als Zivilist. Mit Grace.
    Sein Blick fiel auf den Zettel, den er vorhin mit heraufgebracht hatte. ABGELEHNT . Sperrig und übergroß prangten die Lettern des Stempels über dem ausgefüllten Formular, und Jeremys Mundwinkel spannten sich an. Er nahm die Füße vom Tisch und zog den Stuhl näher heran, griff zu Füllfederhalter und Briefpapier. Zwischen den Seiten des Rimbaud, der den Packen an Briefen aus England beschwerte, holte er eine Photographie in Schattierungen von Sepia heraus. Grace’ Weihnachtsgeschenk an ihn: Grace im Studio eines Photographen, wie sie vor einem Plüschvorhang und einer Topfpalme stand, einen Ellenbogen auf die kitschige Nachahmung einer halbhohen, antiken Säule gelegt. Simon hatte zum Christfest eine ganz ähnliche Photographie von Ada erhalten und war damit durch die Kaserne gelaufen, hatte jedem ihr Abbild unter die Nase gehalten und gerufen: »Das ist sie! Das ist mein Mädchen! Meine Ada! Ist sie nicht wunderhübsch?«
    Cairo, den 17. Mai 1883
    Liebe Grace,
    verzeih, dass ich Dich mit meiner Antwort über Gebühr warten ließ. Ich hatte vorgehabt, meinen Brief an Dich ein paar Tage hinauszuschieben und Dich dann mit einer guten Nachricht zu überraschen. Gerne wäre ich während Deiner Sommerferien nach Surrey gekommen. Mein Urlaubsgesuch wurde jedoch abgelehnt. Stephen, Royston und Simon haben ihre abschlägige Antwort gestern schon bekommen.
    Jeremy setzte die Feder ab und starrte an die gegenüberliegende Wand.
    Noch im September hatten sich Arabi und sein stellvertretender Kommandant in der Kaserne von Abbasiyeh gestellt. Abgesehen von einer heiklen Situation an der Bahnlinie bei Tanta mit einem Pulk aufgebrachter Ägypter und einer kleinen Gruppe von Anhängern Arabis, die von dessen Kapitulation noch nichts wussten, von einem kleinen Truppenverband der Briten schnell und vor allem ohne Tote oder Verletzte entschärft, war die Niederschlagung des Aufstandes in und um Cairo erstaunlich rasch und vor allem verblüffend unblutig verlaufen. Viel zu reibungslos , wie Jeremy mit der ihm angeborenen Skepsis manchmal dachte. Und damit stand er offenbar nicht allein. Denn obwohl Arabi und sieben seiner Bundesgenossen im Dezember vor ein Kriegsgericht gestellt und zum Tod verurteilt, aus Furcht vor einem erneuten Aufflackern der Rebellion vom Khediven jedoch begnadigt und auf Lebenszeit nach Ceylon verbannt worden waren, gab es für die Briten noch viel zu tun. Ägypten dem Empire einzuverleiben oder das Land auf Jahre hinaus zu besetzen, stand für Premierminister Gladstone nicht zur Debatte. Präsenz sollten die britischen Truppen zeigen, als vorbeugende Maßnahme, um jegliche Saat einer neuen Rebellion im Keim zu ersticken, während das Land von Grund auf erneuert und modernisiert würde. Saniert sollte es werden wie ein baufälliges Gebäude, das es auf eine Art auch war. Stabil, zahlungsfähig und vor allem sicher stellte man sich das neue Ägypten vor, unter der Regierung des Khediven und seiner Minister, und umgestaltet mit

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