Jenseits des Protokolls
zugegebenermaßen bereits mit 13 Jahren jeden Morgen vor dem Spiegel stand und mich schminkte, war und ist das für Josefine eher unwichtig. Sie ist der gemütliche natürliche Typ, liebt einen legeren Kleidungsstil und benutzt höchstens mal etwas Wimperntusche. Schon zu Schulzeiten wunderte sich Josefine daher, wenn ich in der großen Pause mal kurz auf der Mädchentoilette verschwand, um etwas Lippenstift aufzutragen. Mit einem Kopfschütteln sagte sie: »Mein Gott, nicht schon wieder.«
Nach der Realschule trennten sich unsere Wege. Josefine ging auf eine Gesamtschule in Langenhagen, während ich auf das Gymnasium, die Leibnizschule in Hannover, wechselte. Später studierte Josefine in Hannover Sozialpädagogik. Wir haben uns in all den Jahren natürlich regelmäßig gesehen und unser Ritual, das wir seit Teenagertagen haben, fortgesetzt: Wir schreiben uns Briefe, ganz klassisch noch mit Stift und auf Papier und schicken sie dann per Post los. Das ist bis heute so. Josefine lebt jetzt in Storkow, einem kleinen Nest mit knapp 8000 bis 9000 Einwohnern, rund 60 Kilometer von Berlin entfernt. Sie hat dort mit ihrem Mann einen alten Hof, natürlich besitzt sie auch ein Pferd, Pippilotta, und arbeitet in einer Einrichtung, wo geistig behinderte Eltern gemeinsam mit ihren Kindern leben können.
Josefine ist ein sehr geerdeter Mensch, eine gute Zuhörerin, eine reflektierte Lebensexpertin. Sie ist sehr klar in ihren Gedanken und während meiner Zeit in Berlin war ich froh, dass Storkow so nah ist. Fast einmal im Monat packte ich Leander und Linus ins Auto und bin manchmal auch nur für ein paar Stunden zu meiner Freundin gefahren. In Berlin habe ich nie diese Orte gefunden, wo ich einmal wirklich durchatmen und abschalten konnte, nur ich war, wo ich mich nicht beobachtet fühlte, kontrolliert und mit dem Auftrag zu funktionieren, aber in Storkow stellte sich genau diese innere Gelassenheit und Ruhe ein. Bei Josefine war ich nicht die Gattin des Bundespräsidenten, sondern einfach wieder das Mädchen mit der Angst vor Pferden, mit der Vorliebe für »Depeche Mode«, die Freundin Bettina. Josefine war es ziemlich egal, dass ich noch einige Tage zuvor in Brasilien oder Abu Dhabi irgendwelchen Staatsoberhäuptern die Hand geschüttelt hatte. Bei ihr durfte ich mich auch mal schwach zeigen, und das kam oft genug vor. Wenn wir auf den Rädern saßen und durch die Wälder fuhren, kamen mir häufig ganz spontan die Tränen. Ich konnte gar nichts dagegen machen. Es tat einfach so gut, jemanden an der Seite zu haben, der einen kennt und bei dem man keinen Zwängen unterliegt. Trotzdem waren genau sie es, diese Zwänge, die mich auch zum Heulen brachten. Denn gerne wäre ich den einen oder anderen Tag länger bei Josefine geblieben, aber zumeist musste ich abends wieder in Berlin sein, weil es irgendeinen vermeintlich wichtigen Termin gab.
Was ich an Josefine schätzte: Sie hat in solchen Moment nicht versucht, mich mit schwachsinnigen Ratschlägen und Kommentaren von der Sorte »Ach, das wird doch sicher toll« oder »Das hat doch alles auch ganz schöne Seiten« oder »Denk nur daran, was du alles erlebst« aufzumuntern. Das hat sie sich gespart. Denn natürlich redete ich mir dies selbst oft genug ein und natürlich stimmte dies auch in großen Teilen, doch manchmal reicht das einfach nicht aus, um Dinge zu akzeptieren. Selbstverständlich gab es viele wunderbare Erlebnisse als Gattin des Bundespräsidenten, aber dieses fremdbestimmte und zweigeteilte Leben, wo man eben nicht spontan einmal sagen kann: »Hey Josefine, hol den Grill raus, ich bleibe mit den beiden Jungs heute bei dir in Storkow und wir verbringen noch einen schönen Abend miteinander«, ging auch an meine Substanz. Umso wohltuender war es deshalb auch, wenn Josefine über ihre Arbeit erzählte. Über für sie so ganz alltägliche Begegnungen und Erlebnisse, wenn sie den geistig behinderten Eltern zum Beispiel erklärte, wie sie ihr Baby baden und wickeln oder ihm ein Fläschchen zubereiten . Immer wenn ich wieder mit Leander und Linus ins Auto stieg und mich auf den Rückweg nach Berlin machte, hatte ich mir ein Stück Normalität und den Blick fürs Wesentliche zurückgeholt. Die Besuche bei Josefine bedeuteten für mich ein Kraft-Tanken für die nächste Berliner Runde.
Meine andere sehr gute Freundin Stephanie lernte ich im Gymnasium kennen, in der elften Klasse. Wir saßen in Deutsch, Philosophie und Englisch nebeneinander. Stephanie hatte einige Monate
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