Jenseits des Protokolls
Schlachtensee, im Grunewald oder im Tiergarten, ich schaffte es nirgendwo, einmal komplett abzuschalten. Überall war man von vielen Menschen umgeben und mir kam es so vor, als ob sie einen alle erkennen und taxieren.
Umso mehr sehnte ich mich nach meiner Familie, aber vor allem auch nach meinen Freunden, für die ich eben nicht die Frau des Bundespräsidenten bin, sondern ganz einfach eine Freundin …
6 Die Freunde
Klingt es zu vermessen und zu eingebildet, von sich selbst zu behaupten, eine gute Freundin zu sein? Vielleicht erscheint es dem einen oder anderen so, doch ebenso denke ich, dass ich genau dies von mir sagen würde: Ich bin eine gute Freundin, denn auf mich kann man immer bauen. Meine Freunde, von denen es in der Tat nur die besagte »Handvoll« gibt, und meine Familie können sich immer auf mich verlassen. Ich bin eine zuverlässige Freundin und definitiv auch ein sehr anhänglicher Mensch. Habe ich einmal jemanden in mein Leben gelassen, Vertrauen und Nähe aufgebaut, fällt es mir schwer, ihn womöglich wieder ziehen lassen zu müssen. Das gilt für Männer, mit denen ich eine Partnerschaft geführt habe, aber auch für Frauen als Freundinnen. Enge Bindung und zudem ein grenzenloses Vertrauen sind für mich die wichtigsten Werte in Freundschaften. Auch das mag sich etwas aufgesetzt anhören, zu dick aufgetragen und artig auswendig gelernt. Aber wenn ich überlege, was die Basis der Beziehungen zu meinen Freunden und Freundinnen ist und worauf ich als Freundin den größten Wert lege, sind es ebendiese zwei Punkte. Sie machen auch die langjährigen Freundschaften zu Josefine und Stephanie aus. Beide waren für mich, neben meiner Familie, gerade während der Zeit in Berlin wichtige Vertraute und wertvolle Stützen.
Josefine kenne ich seit der fünften Klasse. Sie wohnte damals in unserem Nachbardorf Wettmar und kam wie ich auf die Realschule in Burgwedel. Schon am ersten Tag, als ich in der Klasse stand und mir die neuen Mitschüler anschaute, fiel sie mir auf. Während viele der anderen Mädchen und Jungen laut herumtobten und auch ich ziemlich aufgeregt war, saß Josefine eigenwillig und etwas verschlossen wirkend auf ihrem Platz. Zudem hatte sie diese mächtige dunkle, stark gekräuselte Lockenmähne und wenn ich rückblickend überlege, was meine Freundinnen ausmachte, kann ich sicher sagen, dass sie immer anders waren als ich, sowohl optisch als auch vom Wesen her. Vielleicht spielte da unbewusst das Wissen mit, dass man sich nicht in die Quere kommt, dass man nur schwer verglichen werden kann, weil man viel zu unterschiedlich ist. Aber vor allem faszinierte mich dieses Andere und Neue.
Josefine lebte mit ihren Eltern auf einem alten Resthof. Sie hatte ein cooles Zimmer unter dem Dach, wo wir oft saßen und Musik von unseren Lieblingsbands »The Cure« oder »Depeche Mode« hörten. Manchmal gingen wir auch einfach in die Küche, schauten in den Kühlschrank und kochten uns ganz spontan irgendetwas oder backten Waffeln. Josefines Eltern waren da sehr unkompliziert und sehr offen.
Bereits früher war meine Freundin eine absolute Pferdenärrin und natürlich versuchte sie mich davon zu überzeugen, dass es das »Tollste auf der ganzen Welt ist«, auf diesen riesigen Vierbeinern zu sitzen. Ihr zuliebe und auch, um endlich zu wissen, warum nicht nur sie, sondern mehr als die Hälfte aller Mädchen um mich herum sich ständig in enge Reitstiefel zwängten, stinkende Pferdeställe ausmisteten und dabei noch so glücklich strahlten, als hätten sie gerade den Weihnachtsmann getroffen, habe ich es dann mit zwölf Jahren einmal ausprobiert. Ich weiß noch gut, wie mir Josefine ihre zwei Pferde vorstellte und versicherte, dass die Stute Nadja schon ziemlich alt und träge sei. Da könne nicht viel passieren. Leider aber machte sie die Rechnung ohne das gute Tier. Denn kaum saß ich oben, hatte Nadja nichts Besseres zu tun, als vom Hof ganz schnell den Weg direkt zur Wiese, auf der sie den Sommer verbrachte, einzuschlagen – in einem ambitionierten Trab. So plumpste ich sofort wieder herunter, landete unsanft auf dem Rücken. Dieses Erlebnis hat meine Angst nur noch mehr geschürt. »Das Glück dieser Erde, auf dem Rücken der Pferde?« Da bin ich anderer Meinung. Ich halte seitdem einen gehörigen Sicherheitsabstand zu diesen Tieren und Josefine respektierte das fortan. Ihr Herz schlug halt für Pferde, meines mehr für Basketball. Warum auch nicht? Wir waren eben verschieden. Während ich
Weitere Kostenlose Bücher