Jenseits des Protokolls
über vernachlässigte Mädchen und Jungen spricht, über das Engagement, dagegen etwas zu tun, hätte ich es als merkwürdig und meine Worte ein Stück weit auch als unglaubwürdig empfunden, mich da in Glitzerrobe zu präsentieren. Zudem hätte es eben viel zu viel abgelenkt von dem Wesentlichen. Ich fand es teilweise sehr nervig und anstrengend als »Stilikone« aufgebauscht zu werden oder mich mit angeblichen Style-Duellen beziehungsweise Style-Vergleichen mit irgendwelchen Prinzessinnen und Präsidentengattinnen auseinanderzusetzen, so wie es die Medien immer wieder präsentierten. Dafür hatte ich in Berlin einfach ganz andere Sorgen zu bewältigen …
9 Die Beziehung
Es wäre eine Lüge zu sagen, dass das Aus- und Erfüllen des Amtes des Bundespräsidenten spurlos an unserem Beziehungsleben vorbeiging. Möglicherweise war es bei anderen Paaren nicht der Fall, ich aber merkte bereits nach etwa einem Jahr, dass sich Wesentliches veränderte. Vorher hatten Christian und ich eigene, voneinander unabhängige Berufe. Jeder hatte seinen Bereich. Christian war Ministerpräsident von Niedersachsen, ich Pressereferentin bei Continental beziehungsweise später bei Rossmann. Diese getrennten Leben waren gut. Wir waren jeder eigenständig, konnten uns in dem, was wir gelernt hatten, beweisen und darum recht erfüllt und zufrieden aufeinander zugehen und miteinander als Partner umgehen.
Als Bundespräsident und als Frau des Bundespräsidenten mussten wir zu einer quasi untrennbaren Einheit werden. Zwar gab es einen Terminkalender für Christian, ebenso einen eigenen Terminkalender für mich und überdies einen für uns gemeinsam, doch bei allem, was ich tat, war ich stets die Frau des Bundespräsidenten. Ich hatte ein großes Stück Eigenständigkeit und Selbstbestimmung verloren. Und Woche für Woche, die verging, wurde mir dies bewusster und gab mir zu denken.
Mein Mann und ich waren zu einem professionellen Team geworden. Gerade wenn es um Termine im Ausland ging, zeigten wir uns als eingespieltes Duo. Wir konnten das beide richtig gut, davon bin ich überzeugt. Wir entsprachen den Anforderungen und erfüllten die Erwartungshaltung, die insbesondere das Ausland, ausländische Politiker beziehungsweise Staatsoberhäupter an uns als Bundespräsidentenpaar stellten. Der Haken jedoch: Das gemeinsame Repräsentieren ist das eine, das Innenleben das andere. Ich fragte mich, inwieweit dieses Auftreten authentisch ist und sein muss und wie viel es mit der individuellen Gefühlslage zu tun haben darf.
Christian und ich arbeiteten unsere Terminkalender ab. Der Platz für persönliche Momente oder aber der Freiraum, um Emotionen zu zeigen, wurde immer eingeschränkter. Wir standen permanent unter Beobachtung. Und dieses Wissen, als liebendes Paar wahrgenommen zu werden und auch wahrgenommen werden zu wollen und als Menschen, die gleichzeitig auch das Amt perfekt ausfüllen, das war schon eine besondere Belastung. Man ist einfach nicht immer gleich gut gelaunt und versteht sich auch nicht immer gleich gut. Und da setzt einen die Selbstverständlichkeit, jeden Tag erneut als funktionierende Einheit auftreten zu müssen, manchmal unter Druck. Stimmungen, Gefühle und eigene Bedürfnisse mussten ganz schnell hintenangestellt werden. Wenn man nicht für katastrophale Schlagzeilen sorgen will, zickt man nicht herum, kommt nicht zehn Minuten zu spät, zieht die Mundwinkel nicht nach unten.
Es war anstrengend für mich, einen Großteil meiner Emotionen zu unterdrücken. Gerne hätte ich an dem einen oder anderen Morgen zu Christian gesagt: »Du, ich bleibe noch mal 20 Minuten länger im Bett«, und dies nicht aus Müdigkeit, sondern aus dem Bedürfnis nach Ruhe und Alleinsein. Doch dies war ein Ding der Unmöglichkeit, weil da schon der Fahrer vor der Tür stand oder weil sich schon die Gäste im Schloss Bellevue versammelt hatten, weil man wieder einfach funktionieren musste. Genau das aber, auf das eigene Gefühl zu hören und vielleicht doch einmal länger im Bett liegen zu bleiben oder alleine am Frühstückstisch zu sitzen und entspannt die Zeitung zu lesen, hätte der Beziehung in Berlin sicher gutgetan. Um ein wenig Abstand zu gewinnen, sich selbst zu sortieren und für sich wieder klarer zu sehen.
Lange schleppte ich meine trüben Gedanken unausgesprochen mit mir herum. Aber nach gut einem Jahr versuchte ich Christian mit Andeutungen und in Nebensätzen mein Unbehagen mit der ganzen Situation mitzuteilen. Denn mittlerweile
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