Jenseits des Protokolls
spürte ich mindestens einmal pro Woche heftige Magenschmerzen. Mir war häufiger als sonst schlecht und mein Appetit hielt sich auch in Grenzen. Ich wusste, dass ich aufpassen muss. Denn bereits mit etwa 23, 24 hatte ich eine ähnliche Phase erlebt. Es war zur Studienzeit und ich war umgeben von karriereorientierten Kommilitoninnen und Kommilitonen, die die Ellenbogen ausfuhren. Zwar prophezeiten uns die Professoren beste Chancen in deutschen Medienabteilungen, aber dies entsprach so gar nicht meinen Vorstellungen vom Leben. Natürlich wollte ich arbeiten, natürlich wollte ich einen tollen Job, aber ich wollte nicht nur und nicht zwingend Karriere machen. Seltsamerweise glaubt einem dies ja heute kaum einer, wenn man es sagt. Dann wird nur scheinbar verständnisvoll genickt, aber gedacht wird doch: »Was redet die da? Klar will die Karriere machen.« Warum ist das so? Warum meinen immer alle, dass man wie selbstverständlich nach großem beruflichen Erfolg strebt? So gesehen war das Studium für mich eine große Ernüchterung. Es machte mir keinen Spaß, ich musste mich manchmal aufraffen, um überhaupt zu den Seminaren und Vorlesungen zu gehen. Diese Situation schlug mir extrem auf den Magen und irgendwann beschloss ich damals einfach, nichts mehr zu essen. Bringe ich heute bei einer Größe von 184 Zentimetern um die 64 Kilo auf die Waage, waren es damals irgendwann noch 52 Kilo. Meine Eltern und mein Bruder kamen zu dieser Zeit nicht mehr an mich heran. Ich kapselte mich ab, lebte in meiner eigenen kleinen Welt. Es war meine Freundin Stephanie, die mich mit vielen Gesprächen wieder da rausholte. Denn ich selbst nahm nicht wahr, wie schlecht es mir eigentlich ging. Und genau diesen Aspekt, die Sensibilität für sich selbst zu verlieren, befürchtete ich auch nach einiger Zeit als Frau des Bundespräsidenten.
Im Hinblick auf Leander und Linus hatte ich mir relativ früh, schon einige Wochen nach der Wahl von Christian, die ersten Gedanken über das mögliche »Danach« gemacht. Nicht aus Zukunftsängsten oder einem großen Planungsdrang heraus, sondern weil ich eben schnell spürte, dass dieses Leben in Berlin nur noch wenig mit meinem Leben davor zu tun hatte, mir dieses durchgetaktete und durchterminierte Dasein zu schaffen machte und es sich stark auf unser Familienleben auswirkte. Ich überlegte, ob ich das wohl fünf Jahre aushalte oder im Zweifelsfall – davon musste ich ja zunächst auch ausgehen – vielleicht bei einer Bestätigung von Christian als Bundespräsident sogar zehn Jahre. Und der Gedanke, noch weitere neun Jahre so zu leben, machte mich ziemlich nachdenklich. Fünf Jahre waren für mich kalkulier- und absehbar, zehn Jahre aber vorgegeben zu bekommen, das war ein Zeitraum, der mich beängstigte.
Ich lebe und plane in drei, maximal fünf Jahresschritten und plempere mit meiner Lebenszeit nicht herum. Das liegt sicher zum einen an den Kindern, aber auch an meiner Überzeugung, dass ich nicht davon ausgehen kann, 80 oder 90 Jahre alt zu werden. Ich denke lieber in kürzeren Zeitabschnitten, zumal sich das meiste meiner Erfahrung nach doch eh gar nicht bis ins Detail planen lässt, sondern – so pathetisch es sich anhört – das Leben seine ganz eigenen Wege einschlägt. Zudem konnte ich mir auch selbst keine sinnvollen Antworten mehr darauf geben, was nach zehn Jahren folgen könnte. Nach fünf Jahren, so meine Überlegungen, wäre ich vielleicht wieder in die Pressestelle zu Rossmann zurückgekehrt. Ebenso konnte ich mir vorstellen, mich im PR-Bereich selbstständig zu machen. Aber nach zehn Jahren? Da war zunächst einmal nur ein großes Fragezeichen.
Ich befürchtete, dass mir womöglich diese weiteren fünf Jahre als Frau des Bundespräsidenten vielleicht einmal in meinem eigenen Leben fehlen würden und ich manches, wie zum Beispiel mit Freundinnen in der Disco tanzen zu gehen, nicht einfach nachholen kann, weil ich mich dann dafür zu alt fühle. Ich wollte nicht alles in eine ferne Zukunft schieben und sagen: Na gut, dann sind wir halt jetzt eventuell zehn Jahre hier in Berlin und dann, im elften Jahr, beginnt wieder unser privates, einander zugewandtes Leben.
So gesehen war es aus meiner Sicht unvorstellbar, dass es zehn Jahre werden konnten. Es hätte einen Punkt gegeben, wo ich ernsthaft gesagt hätte: Es geht nicht mehr. Wir müssen nach Möglichkeiten suchen, wie man das alles hier anders organisiert. Vielleicht hätte es dazu geführt, dass ich als Frau des Bundespräsidenten
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