Jenseits des Spiegels
schreien, hier war alles möglich.
„Raphael, Michael, Gabriel, und Uriel gehörten der Hexe Enola“, erklärte Gaare. „Sie waren ihr hörig, trugen das alte Zeichen der Hexen. Daher nahmen sie ihre Macht.“
Ich wusste, dass ich nicht fragen sollte, weil wir damit noch weiter vom eigentlichen Thema abschweiften aber ich musste einfach. „Das alte Zeichen?“
Er nickte. „Du weißt wie das Zeichen der Hexen aussieht?“
Jetzt war es an mir zu nicken. Ha, ich wusste mal was!
„Das alte Zeichen war diesem sehr ähnlich, nur das der Stern früher nur eine Zacke nach oben trug, heute sind es zwei.“
„Gut und Böse.“
Gaares Blick bekam etwas nachsichtiges, als hielte er mich für völlig plemplem. Nicht sehr nett. „Ich denke, dass es weniger mit der Philosophie ihres Lebens zusammenhing, als mehr mit der Macht. Hexen tun nichts ohne einen bestimmten Grund. Wenn sie ihr Zeichen umdrehen, kann das nur mit Herrschaft, Stärke und Einfluss kovariieren.“
Äh … „Bitte was?“
Gaare schmunzelte. „Einhergehen, zusammenhängen.“
Ah. „Sag da doch gleich.“
Das überging er einfach. „Wie dem auch sei. Ich besitze ein paar Schriften dieser vier Engel, verfasst von der Hexe Enola, in denen die Rede davon ist, dass sie auf Geheiß ihrer Herrin durch einen Schleier in eine andere Welt gingen. Es wird nicht erklärt, was sie hinter dem Schleier taten, noch was sich dahinter verbarg. Die Texte sind sowieso sehr verschlüsselt und unverständlich, was daran liegen mag, das Hexen ihre Geheimnisse gerne für sich behalten, aber ich bin durch meine Erfahrung wohl in der Lage auch zwischen den Zeilen zu lesen.“
Das glaubte ich ihm aufs Wort. „Und das heißt im Klartext?“
„Das heißt, das Enola die Engel durch ein Portal in eine andere Welt schickte. Es ist ein Synonym zu dem Märchen, Jenseits des Spiegels.“
„Damit meinst du, dass es noch mehr belegte Geschichten gibt, in denen Wesen durch dieses Portal in eine andere Welt gehen?“, fragte ich hibbelig. Hieß das, dass ich nicht die einzige war?
„Durch diese
Portale
“, verbesserte er mich – Mehrzahl. „Und in eine nicht magische Welt, aber keine davon ist belegt, es sind alles nur Erzählungen.“
Meine Aufregung fiel ein bisschen in sich zusammen. „Das heißt sie sind frei erfunden?“
„Das glaube ich nicht. Dafür habe ich einfach zu viele solcher Texte gesichtet, alle ein wenig abgewandelt, mache sehr ungenau, aber sie alle stimmen in den Kernpunkten übereinander. Ein Portal – das zum Teil direkt als Spiegel beschrieben wird – in eine andere Welt. Hexen die die Macht dazu besitzen es zu erschaffen, und nie wird erwähnt, was die Wesen auf der anderen Seite gesehen und erlebt haben, was damit zusammenhängen könnte, dass sie ihre Erinnerungen auf der Reise zwischen den Welten verlieren.“
„So wie bei mir“, flüsterte ich, als mir klar, wurde, was er mir damit sagen wollte. Es war genau wie bei mir. Ein Portal und keine Erinnerungen, nur dass ich keine Hexe hatte, die mich auf diese Reise schickte – davon zumindest ging ich aus.
„Ich denke, die Macht ist zu stark, und die Bilder der Vergangenheit werden einem beim Übergang einfach entrissen, aber warum das so ist, kann ich dir nicht sagen.“ Nachdenklich verzog er die Lippen. „Deine Ausflüge in den Korridor der Erinnerungen würden das auch unterlegen. Die Bilder, die dir das Vergangene zeigen sollten, sind alle fehlerhaft, kaputt, wenn du so willst, als wenn eine starke Macht daran gerissen und sie beschädigt hätte. Nur Bruchstücke sind davon noch übrig geblieben.“
„Weswegen wir jetzt auch hier sitzen.“
Wieder nickte er. „In den letzten Tagen bin ich alles durchgegangen, was ich zu dem Thema habe finden können, und zu einem ganz einfachen Ergebnis gekommen.“
Jetzt wurde es spannend. „Und was für ein Ergebnis ist das?“
„Dass wir ein Portal finden müssen, um dich zurück nach Hause zu schicken.“
Das war alles? So einfach? Deswegen hatte er mich die ganze Zeit so auf die Folter gespannt? „Du glaubst also, es gibt noch andere Portale?“ Gott sei Dank, und ich hatte schon befürchtet, den einzigen existierenden Durchgang zerstört zu haben, weil ich meinen Dickschädel reingerammt hatte. Hätte mich bei meinem Glück nicht besonders gewundert.
„Es ist zumindest sehr wahrscheinlich.“
Nur wahrscheinlich? Das hörte sich in meinen Ohren nicht ganz so gut an. „Und wo wäre deiner Vermutung nach, so ein Portal am
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