Jenseits des Spiegels
wahrscheinlichsten zu finden?“
„Bei den Hexen, wo sonst?“
Ja, wo sonst.
„In den Kindermärchen ging es um eine Hexe, genau wie bei den Geschichten um die vier Engel, und ich habe bereits vor vielen Jahren gelernt, das in allem ein Körnchen Wahrheit enthalten ist. Außerdem besitzen die Hexen durch ihr Zeichen eine Macht, von der wie Magier nur träumen können. Ich denke, dass allein das Zeichen der Hexen die Macht besitzt, ein Individuum durch ein Portal zu führen.“
Wie von selbst, legte sich meine Hand auf meine Tätowierung. Das Zeichen der Hexen, ein Pentagramm. Sollte das heißen, dass ich nur durch den Spiegel gefallen war, weil ich dieses Tattoo besaß? Die Frage lag mir schon auf der Zunge, aber ich unterdrückte sie. Gaare wusste bis heute nicht von dem Bild auf meiner Schulter, und ich fürchtete mich irgendwie davor es ihm zu zeigen. Nicht dass ich glaubte, dass er mir etwas tun würde, aber mir stand noch lebhaft vor Augen, wie die Werwölfe darauf reagiert hatten – besonders Veith.
„Ich habe mich bereits mit einem Hexenzirkel in Verbindung gesetzt“, erzählte er weiter, ohne auf meine seltsame Geste einzugehen.
Schnell nahm ich meine Hand herunter. Ich musste ihn ja nicht unnötig darauf aufmerksam machen.
„Aber bisher haben sie noch nicht auf meine Anfrage reagiert“, fuhr er fort. „Wie ich die Hexen kenne, werden sie sich erst mal beraten, aber sie sind sehr neugierig. Ich bin mir sicher, dass sie sich bei mir melden werden, um mein Anliegen in Erfahrung zu bringen.“
Mit den Fingern fuhr ich über den ledernen Einband des Märchenbuches, sah die verschnörkelten Verzierungen darauf, und versuchte mir klar zu werden, was das für mich bedeutete. „Das heißt, ich kann wieder nach Hause.“ Dieser Gedanke war so unglaublich, dass ich ihn kaum in Worte zu fassen wagte. Sollte ich nun wirklich einen Weg gefunden haben, der mich zurückbrachte?
„Wenn sie ein Portal besitzen, und es uns zur Verfügung stellen.“
Irgendwie wusste ich nicht, ob ich mich darüber freuen sollte, oder es doch besser war, in tiefen Depressionen zu verfallen. Nach Hause. Irgendwie hatte das für mich nicht mehr die Bedeutung, die es haben sollte. Nicht nur, dass ich mich in der Zwischenzeit hier eingelebt hatte, und es mir auch gefiel – manchmal zumindest –
nach Hause
waren für mich auch irgendwie Fremdwörter geworden. Ich konnte mit ihnen einfach nichts in Verbindung bringen. „Würde ich meine Erinnerungen zurückbekommen, wenn ich durch ein Portal gehe?“
„Das weiß ich leider nicht.“
Natürlich nicht, woher denn auch. „Und was ist mit euch? Mit dir und den anderen?“ Mit Veith. „Würde ich euch alle vergessen?“
„Das glaube ich nicht.“ Er lehnte sich vor, und stützte die Arme auf die Beine. „In dem Märchen Jenseits des Spiegels wir erzählt, dass die kleine Hexe einen Weg nach Hause suchte, nach der Welt, nach der sie sich sehnte, nach der Familie und den Freunden, die sie dort zurückgelassen hat. Sie kann sich nur nach etwas sehnen, an dass sie sich erinnern kann.“
Sollte das jetzt heißen, dass es besser wäre hier zu bleiben, weil es in der anderen Welt nichts gab, nach dem ich mich sehnte? Oder würde mich nach meiner Rückkehr in meine Welt irgendwann das Verlangen Übermanen, wieder in die magische Welt zu kommen, weil ich mich an sie sehr wohl erinnern konnte?
Gaare, der mein Schweigen falsch deutete, legte mir väterlich eine Hand aufs Bein, und drückte es leicht. Seine pergamentartige Haut fühlte sich irgendwie rau an. „Mach dir keine Sorgen, meine Liebe, es gibt mehr als einen Hexenzirkel. Wenn dieser hier uns abweist, werden wir einen anderen finden der uns ein Tor in deine Welt zur Verfügung stellt. Vielleicht dauert es dann ein bisschen länger, aber du wirst in deine Welt zurückkehren können.“
Wollte ich das überhaupt noch?
°°°
Den Kopf voller Gedanken, trat ich aus der Bibliothek. Die Sicherheit, dass ich jetzt wusste woher ich kam, und wie ich dorthin wieder zurückkehren konnte, war für mich im Augenblick kein Grund zur Freude. Warum eigentlich nicht? Ich sollte Luftsprünge machen, ein kleines Tänzchen aufführen, und die ganze Welt umarmen, aber da waren nur Unsicherheit und die Angst vor dem Unbekannten.
Die Gesichter der Lykaner tauchten vor meinem inneren Auge auf. Das war es, was mir jetzt vertraut war, was ich nicht fürchtete, und was ich behalten wollte, weil es das Einzige war, was ich kannte. Djenan,
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