Jenseits des Spiegels
toten Blicken in diesem Raum etwas zu mir zu nehmen. Auf jeden Fall wäre es eine Schande, dieses Essen verkommen zu lassen.
Zögernd schnitt ich mir ein Stück von dem Fleisch ab, und probierte es. Ich hatte immer noch keine Ahnung, was das war – Hexenhirn? –, aber es schmeckte köstlich. Das Gemüse, das Ähnlichkeit mit roten Erbsen hatte, war hervorragend gewürzt, und der Brei war definitiv nicht aus Kartoffeln, aber was das war, konnte ich auch nicht sagen, und irgendwie traute ich mich nicht zu fragen. Nicht dass ich Angst hatte, hier auf der Speisekarte zu landen – den ich ging nicht davon aus, dass Magier Kannibalen waren –, aber ich kam mir irgendwie dumm vor zu fragen. Das hier war so edel, so … gehoben. Ich wollte nicht wie ein dummes Landei wirken.
Eine ganze Weile war nichts außer das klappern unseres Besteckst zu hören. Keiner der beiden Männer sprach ein Wort. Das schien hier zum guten Ton zu gehören. Wenn ich da an die wenigen Essen mit den Werwölfen dachte, das war eine ganz andere Atmosphäre, und wenn ich ehrlich war, fühlte ich mich dort wohler. Hier war es so … drückend, beherrscht. Es schien als hätten die beiden sich nicht viel zu sagen.
So sollte eine Familie nicht sein
„Nun erzähl mal, Talita“, durchbrach Anwar irgendwann dieses Vakuum. „Wir haben deine Geschichte ja schon aus den Mäulern dieser Unwürdigen gehört, aber mich würde jetzt interessieren, wie du es für dich erlebt hast.“
Unwürdigen? Mein Gott, da hatte aber jemand ein aufgeblasenes Ego. Als wenn er in der Lage wäre zu entscheiden, wer würdig war, und wer nicht. Überhaupt, wofür eigentlich unwürdig?
„Papá, nicht jetzt. Das Ganze muss für sie schon schwer genug sein, auch ohne neugierige Ohren, die es immer wieder von neuem hören wollen. Ich kann mir auch nicht vorstellten, dass Talita schon wieder darüber sprechen möchte.“
„Ach, papperlapapp“, wischte er den Einwand seines Sohnes einfach beiseite. „Talita ist hier, damit ich ihr helfe, dann muss sie auch sprechen. Ich kann schließlich auch keine Wunder bewirken. Je mehr Informationen ich habe, umso besser kann ich arbeiten.“
Hatte er vorhin nicht noch gesagt, dass sich ein gewisser Gaare um mein Anliegen kümmern würde, oder hatte ich da etwas falsch verstanden?
Anwar wandte sich mir zu. „Also, sprich.“
Wie sich das anhörte, gehorche oder stirb! Ich warf einen kurzen, unsicheren Blick zu Erion. „Ähm, was wollen Sie denn wissen?“, fragte ich vorsichtig.
„Erzähl einfach. Es interessiert mich, wie du deine Zeit unter diesen ungehobelten Wilden erlebt hast.“
„Papá, ich glaube nicht …“
Mit einer unwirschen Handbewegung, schnitt Anwar seinem Sohn das Wort ab, und richtete sein erwartenden Blick dann auf mich.
Was war denn jetzt los? Irgendwie hatte ich plötzlich das Gefühl, dass es um etwas ganz anderes ging. Ich sah zwischen den Beiden hin und her, und öffnete dann den Mund, einfach weil es unhöflich war zu schweigen. „Ähm, naja, ich bin kurz auf dem Dachboden zu mir gekommen, nur ganz kurz, und mit fürchterlichen Kopfschmerzen. Und dann bin ich wieder Ohnmächtig geworden.“
„Einfach so?“, fragte Erion.
Aha! Das war wohl noch jemand von der Neugierde gepackt. „Ja. Keine Ahnung warum. Das nächste Mal bin ich im Arbeitszimmer zu mir gekommen. Es war seltsam, anfangs habe ich alles nur wir durch Watte wahrgenommen. Und die ganzen Halbnackten haben mich echt verunsichert. Sowas kenne ich nicht.“
„Du kannst dich also doch an Gegebenheiten aus deiner Vergangenheit erinnern“, stellte Anwar fest.
Wie oft hatte ich das in den letzten Tagen bereits erklärt? Ich konnte es gar nicht mehr zählen. „Nur an Dinge, die mich selber nicht betreffen, nichts Persönliches.“
Er nickte, was wohl so viel hieß, wie, dass er verstanden hatte, und ich fortfahren sollte. Ein höfliches Bitte war wohl zu viel verlangt.
„Naja, ich war dann in diesem Arbeitszimmer, und Prisca wollte wissen wer ich bin, und wie ich in ihr Lager gekommen war, und da wurde mir klar, dass ich mich an nichts erinnern konnte. Alles war einfach irgendwie … weg. Ich wusste nicht mehr wie ich heiße, wo ich wohne, und wie ich da hin gekommen bin. Aus dem Spiegel sieht mich eine unbekannte Frau an. Das ist ein wirklich komisches Gefühl.“
„Das können wir uns wahrscheinlich gar nicht vorstellen“, meinte Erion mitfühlend.
„Nein“, bestätigte ich. „Das lässt sich auch schwer erklären, man muss
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