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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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stieg ihr in die Nase.
    Kjoren wäre den Männern beinahe ins Gesicht gesprungen, wenn sie ihn nicht zurückgehalten hätte. Er verlangte von ihnen zu wissen, weshalb man sie eingesperrt hatte, er bombardierte sie geradezu mit Fragen, aber die Männer gaben sich unbeeindruckt. Der eine zuckte nur die Achseln, der andere murmelte: »Es wird jemand kommen, der euch alles Weitere erklärt.« Sie verließen den Raum und verriegelten die Tür abermals.
    Während der nächsten Stunden beschäftigten sie sich damit, die Wäsche unter ihnen aufzuteilen, und sich mit Brot, Käse, Wasser und Trockenobst zu stärken. Elane spürte unsagbare Erleichterung, endlich die zerfetzte Kundschafterkleidung loszuwerden. Sie unterdrückte ihr Schamgefühl, als sie sich bis auf die Unterwäsche auszog und hastig die frischen Kleider überstreifte. Die einfache weiße Kleidung war eine Wohltat für das Auge und vor allem für die Nase.
    Sie verharrten in Schweigen, als jeder wohl seinen Gedanken nachhing und immer wieder sehnsüchtig zur Tür blickte. Die Ungewissheit nagte an ihr, ließ sich kaum ertragen. Die Priester verhielten sich ein wenig exzentrisch. Sie empfingen sicherlich nicht häufig Besuch. Wer würde sich auch schon hierher verirren? Für die Dauer eines Herzschlags durchzuckte sie die düstere Vermutung, dass die Armeen des Königs doch vor ihnen angekommen sein könnten, aber sie verwarf den Gedanken. Die riesigen Luftschiffe der Valanen flogen träge, wahrscheinlich hatten sie gerade erst am Ufer von West-Fenn angelegt, wenn überhaupt. Undenkbar, dass sie das Kloster bereits erreicht hatten.
    Sie sprachen lange Zeit kein Wort, denn jedes Mal, wenn einer von ihnen etwas sagte, endete die Diskussion in einem Streit. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Leroy verfiel in seine altbekannte Jammerei, die Kjoren in den Wahnsinn zu treiben schien. Kjoren wiederum brachte Leroys Blut mit seinem neu entfachten Optimismus offenbar zum Kochen. Elane war den Tränen nahe, sie fühlte sich wieder wie ein hilfloses verwöhntes Mädchen, das an Schwierigkeiten nicht gewöhnt war.
    Erst, als es draußen zu dämmern begann und das Feuer im Kamin nur noch einem schwach vor sich hin glimmenden Aschehaufen entsprach, regte sich endlich wieder etwas. Jemand schob den Riegel zur Seite und kurz darauf schwang die Tür auf. Kjoren sprang mit einem Satz von seinem Stuhl und ballte die Fäuste, als rüstete er sich für einen Kampf Mann gegen Mann. Leroy starrte nur mit geröteten Augen auf die fünf Männer, die sich in den kleinen Raum drängten. Nur zwei von ihnen trugen ein Priestergewand, die anderen drei kleidete praktische derbe Reisekleidung mit gefütterten Wämsern. Das Zimmer schien aus allen Nähten zu platzen. Elane drückte sich hinter dem Tisch in eine Nische. Sie erkannte nur einen der Männer. Den Priester, der sie hineingebeten hatte, alle anderen Gesichter waren ihr unbekannt. Sie drängte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Einerseits erfreute es sie, dass die Langeweile in ihrer kleinen Zelle nun endlich verflogen war, doch das Gefühl von beklemmender Angst brandete zugleich über sie hinweg und ließ sie sich wünschen, niemals hierhergekommen zu sein.
    Einer der Männer mit der dicken Winterkleidung trat vor. Er zog eines seiner Beine ein wenig nach. Elane bemerkte eine eiserne Schiene, die sein Knie versteifte und von außen am Oberschenkel und Wade befestigt war. Sein Oberkopf war kahl geschoren, lediglich ein langer grauschwarzer Priesterzopf baumelte von seinem Hinterkopf hinab auf seinen Rücken. Sie schätzte den Mann auf Anfang fünfzig.
    »Es tut mir leid, dass ihr so lange warten musstet«, sagte er und blickte ihnen abwechselnd in die Augen. Aus seiner Mimik konnte sie keinerlei Emotionen ablesen. »Mein Name ist Cirnod. Mir obliegt die Aufsicht über diese Einrichtung. Ich muss euch leider mitteilen, dass eure Reise hier ihr Ende nehmen wird. Ich habe lange mit meinen Männern darüber diskutiert, was mit euch geschehen soll, aber zum Wohle von Ceregrym haben wir beschlossen, euch auszuliefern.«
    Ein Schreck fuhr ihr durch die Glieder. Ausliefern? Eine dunkle Vorahnung machte sich in ihr breit wie eine hartnäckige Krankheit. Sie verstärkte ihre Angst zu einer alles verschlingenden Woge aus Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.
    »Schon vor ein paar Tagen erreichte mich ein Bote, der eure Ankunft ankündigte.« Cirnod sprach ruhig, als unterhalte er sich mit ihnen über das Wetter. Er hatte keine

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