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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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unangenehme Stimme, und sein Gesicht entsprach nicht dem eines Schurken. »Unser Kloster ist in Bedrängnis. Es fällt mir nicht leicht, aber der König droht uns mit der Schließung. Er lässt uns schon jetzt kaum noch finanzielle Mittel zufließen. Wir sind gezwungen, dies zu tun.«
    »Was genau haben Sie mit uns vor?« Noch immer hielt Kjoren seine Fäuste geballt vor der Brust. Er erinnerte sie in diesem Moment an einen zähnefletschenden Hund.
    »Ich möchte euch damit sagen, dass der König Anspruch auf euch erhoben hat, weil ihr flüchtige Verbrecher seid. Und deshalb werden wir uns noch heute Abend mit euch auf den Weg nach Süden machen, um den Abgesandten des Königs entgegen zu reisen.« Cirnod lächelte verlegen, obwohl Elane kein Grund einfiel, weshalb jemand in dieser Situation lächeln sollte. Er hatte ihnen soeben offenbart, dass sie ihrem sicheren Tod entgegen gehen würden.
    Kjoren machte einen Satz nach vorn und sprang auf Cirnod zu, doch gleichzeitig warfen sich die vier anderen Männer ihm entgegen und packten ihn an den Armen. Kjoren trat und schlug um sich, aber es war eher ein Ausdruck seiner Verzweiflung als der ehrliche Versuch, sich aus ihrem Griff zu befreien. So geschwächt und müde von der langen Reise, boten sie für niemand mehr eine Gefahr.
    Die Erkenntnis traf Elane wie eine Gewehrkugel mitten ins Herz. Es war vorbei. Und sie waren so dumm gewesen, an die Tür ihres Verderbens zu klopfen. Konnte der König tatsächlich einen schnellen Boten geschickt haben, der eher hier eintraf als sie, Kjoren und Leroy? Sie ließ das Kinn auf die Brust sinken und schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Sinn, sich weiter Gedanken zu machen. Es war vorbei.
    Als sie Kjoren Fußfesseln angelegt und ihm die Handgelenke zusammengebunden hatten, verschnürten die Ordensmänner Leroy und sie ebenso. Anders als Kjoren wehrten sie sich nicht gegen ihr Schicksal. Elane hätte am liebsten geheult wie ein Kleinkind. Sie war wütend. Wütend auf den König, wütend auf Leroy, aber allem voran wütend auf sich. Sie hatte sich diese Schwierigkeiten selbst zuzuschreiben. Sie hätte sich den Männern niemals anschließen dürfen. Sie hätte sofort in den Palast zurückkehren und den Verlust des Dokuments gestehen sollen, das ihr in den Straßen von Budford abhandengekommen war. Jonneth hatte ihr einen Auftrag anvertraut, und sie hatte versagt. Mittlerweile kam es ihr albern und lächerlich vor, dass sie sich nicht getraut hatte, wegen einer solchen Lappalie zu ihm zurückzukehren. Natürlich hätte Jonneth sie geschlagen, aber daran war sie doch gewöhnt. Jetzt steckte sie in weitaus ernsteren Schwierigkeiten. Sie erwartete der Galgen.
    Bereits eine halbe Stunde später verließen Cirnod und die beiden in Reisekleidung gehüllten Männer mit ihnen das große Haupttor des Klosters. Es fiel krachend hinter ihnen ins Schloss wie das Fallbeil einer Guillotine und sie begaben sich unter dem Deckmantel der hereinbrechenden Nacht auf den Weg in eine unbekannte Zukunft.
    Elane konnte wie ihre Begleiter nur kleine Schritte machen, da die Fußfesseln sehr eng zusammengebunden waren. Eine Flucht war unmöglich. Leroys Kopf lag auf seiner Brust. Er ließ sich willenlos hinterherzerren. Sie hingegen fühlte sich hellwach. Man hatte ihnen zwar gefütterte Mäntel gegeben, doch sie fror trotzdem entsetzlich. Die Nächte im Norden waren kalt und klar, ihre Schritte knirschten auf dem gefrorenen Boden. Zwei der Männer trugen große Rucksäcke, vermutlich Reiseproviant. Cirnod stützte sich schwer auf einen Gehstock, er hinkte. Gelegentlich stöhnte er und fluchte leise, was sich für einen Mann Gottes sicherlich nicht gehörte. Ansonsten hüllten sie sich in Schweigen. Sogar Kjoren schien sich mit seinem Schicksal arrangiert zu haben, denn mit einem gleichgültigen Gesichtsausdruck trottete er neben ihnen her.
    Sie marschierten die halbe Nacht, ehe Cirnod ihnen endlich gestattete, zu rasten. Sie schlugen ein notdürftiges Lager mitten im stockdüsteren Wald auf. Es war eine sternklare Nacht und der Mond stand hoch am Himmel, doch zwischen den schweren Ästen der Tannen kam er nur selten zum Vorschein. Jemand entzündete ein spärliches Feuer, das sie allerdings kaum zu wärmen vermochte.
    Sie setzte sich ein wenig abseits zu Kjoren und Leroy auf einen umgestürzten Baumstamm, ließ den Kopf hängen und lauschte den Geräuschen der Nacht. Irgendwo heulte ein Wolf. Heulte wieder. Ein anderer Wolf antwortete. Dann rief eine Krähe ganz

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